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BERLIN/ Deutsche Oper: JENUFA – „Würmer im Rosmarin“ – und Eisblumen auf den Fenstern.

19.02.2014 | KRITIKEN, Oper

BERLIN / Deutsche Oper – JENUFA, 18.2.2014

„Würmer im Rosmarin“ – und Eisblumen auf den Fenstern

Unbenannt
Michaela Kaune als „Jenufa“ im 1. Akt. Foto: Monika Rittershaus

 Abgehackt – fragmentarisch – ohne eng verbundene große Melodie. Das Orchester wirft nur flüchtige, stechende Töne nach allen Seiten. Und doch webt das aufs Höchste gereifte musikalische Denken des Komponisten alle kleinen Glieder in ein großartiges Ganzes von hinreißender Wirkung zusammen, welche nur wenige Kompositionen der Weltliteratur erreicht haben. Mit diesen schönen Sätzen könnte man Janaceks Meisterwerk Jenufa trefflich charakterisieren. Sie wurden aber nicht über, sondern von Leos Janacek und nicht über Jenufa, sondern1896 in einer Rezension des auch schriftstellerisch aktiven Komponisten über Tschaikowskijs Pique Dame verfasst.

 Von Brünn über Wien bis zur Met habe ich in den letzten 40 Jahren viele hervorragende Interpretationen dieser großen Partitur gehört. In Berlin gelingt – obwohl an diesem Abend die Aufführung von UNITEL Classica für Fernsehen und DVD aufgezeichnet wurde, eine allenfalls gepflegt durchschnittliche Wiedergabe. Das liegt vor allem an den vokal überforderten Protagonistinnen von Jenufa und Küsterin, aber auch an einer zu kühlen szenischen Umsetzung durch Christof Loy (Inszenierung) und Dirk Becker (Bühne)  sowie dem Dirigenten Donald Runnicles, der mit mährischem „Hain und Flur“ nicht allzu viel anfangen kann.

 Im Zentrum der Idee des Regisseurs stehen die Küsterin und ihre „Menschwerdung“, die sie im Gefängnis vollzieht. So sieht man in der Eingangsszene in einer weißen Guckkastenbühne die Küsterin Jennifer Larmore an der Wand lehnen und als Erinnerung den Anlauf der Oper in sich versunken beobachtend. Später öffnet sich die hintere weiße Spanplattenwand und gibt den Blick frei auf ein spätsommerlich abgeerntetes Feld und einige Telegrafenmasten. Das sieht weniger nach Mähren als nach dem „wheat belt“ in den USA, also z.B. Colorado aus. Der klinische weiße Raum, in dem sich die Handlung in allen drei Akten abspielt, kann nach beiden Seiten auf „Cinemascope-Breite“ vergrößert werden. Darin findet nun die ländlich schrecklich-grausige Versuchsanordnung vom Bruch der Sitte durch eine uneheliche Geburt Jenufas und der Wiederherstellung der „moralischen Ordnung „ durch Kindesmord ihrer Ziehmutter statt. Alle im Programmheft dargelegten Ideen Loys klingen gut und schlüssig, die szenische Umsetzung ist im ersten Akt jedoch vollkommen unbeholfen, und steigert sich ein wenig im zweiten und dritten Akt.

Das größte Ärgernis zu Beginn stellt die Jenufa der Michaela Kaune dar. Sie stakst in knallrotem Kleid und Stöckelschuhen wie eine höhere Tochter aus Döbling durch die Szene und bleibt stimmlich beinahe unhörbar, weil ihr die Tessitura im ersten Akt zu tief liegt. Oft wird sie vom dramatisch auftrumpfenden Orchester gnadenlos überdeckt. Da sie sich in der unteren Lage festsingt, klingt ihre im 2. Akt lyrisch schön aufblühende Höhe zunächst stumpf und gaumig. In den Parlando Passagen wird zudem leidlich deutlich, dass ihre Aussprache des Tschechischen unidiomatischer nicht sein könnte. Bei Jenufa und den anderen Opern Janaceks, wo die Partitur aus dem Wort heraus ent- und ersteht und das seelische Psychogramm durch das Konzertieren der Stimmen mit dem Orchester Farben und Kontur erhält,  ist das ein beachtliches Manko. Etwas besser schlägt sich Jennifer Larmore, vor allem weil sie als vollkommen unpathetische Küsterin eine glaubhafte und schlüssige Figur zu vermitteln vermag. Es gibt ja nicht allzu viele Belcanto Mezzos, die sich erfolgreich ins dramatische Charakterfach hinein entwickeln. Wenngleich Larmore vieles an dramatischem Aplomb und Emphase ihrer berühmten Vorgängerinnen von Varnay bis Rysanek, von Jurinac bis Baltsa oder Polaski vermissen lässt, war ich dennoch von ihrer Gesamtleistung sehr positiv überrascht. Larmores Küsterin ist eine moderne Frau, die ihr durch negative Erfahrungen gespicktes Weltbild mit Strenge, moralischer Anmaßung und unkontrollierter Emotion als brüchige Krücken zimmert. Und maßlos an ihren eigenen Ansprüchen scheitert. Brutaler Babymord kann und darf kein Mittel wozu auch immer sein. Zu pathologischen  Monstren mutierte Frauen wie Medea oder letztlich auch die Küsterin werfen aber auch ein düsteres Licht auf das brutale und selbstbezogene Rollenbild der Männer (nicht nur) in ländlichen Regionen. Das wie im Falle etwa des Trunkenbolds Stewa von Frauen wie der alten Buryia (eindringlich und mit großer Stimme von Hanna Schwarz gesungen) doppelt tragisch  matriarchalisch abgestützt wird. Immerhin ist er ja ihr Enkelsohn… Oder aber auch die Küsterin, die ihre Ziehtochter  nach Ertränken des kleinen Stewuschka ausgerechnet Laca, der die Wangen der schönen Jenufa mit einem Messer brutal zerschnitten hat, in die Arme treibt. Wer sagt, dass der Reue und dem „Kreidefressen“ des aggressiven Eifersüchtlers nicht wieder bald Gewalt und ungezügelter Machismo folgen? Eine gute Ehe kann das nie und nimmer werden.

 Die stimmlich untadeligsten Leistungen des Abends kamen von den beiden Tenören Will Hartmann (Laca) und Ladislav Elgr (Steva). Besonders Hartmann berührt mit einer differenziert gestalteten Charakterstudie. Man findet bei ihm keine Würmer im Rosmarin, die er selbst der armen Jenufa in den Blumentopf streut, damit das liebesglücksbringende Kraut abwelkt. Mit seinem gut fokussierten Tenor hat er vom metallischen Ausbruch bis zum zarten Piano alles drauf. Ladislav Elgr wiederum versah den am Schluss gebrochenen und von Karolka (Martina Welschenbach) verlassenen Schönling mit der passenden Stamina und den Zwischentönen eines vom eigenen Charakter Getriebenen. Großartig. Unter den kleineren passend besetzten Rollen des Altgesells (Simon Pauly), der Dienstmagd Barena (Jana Kurucová), des Schäferjungen Jano (Alexandra Hutton) und der Schäferin (Fionnuala McCarthy) ragt Nadine Secunde als veritable Starbesetzung mit großer Persönlichkeit als Frau des Bürgermeisters heraus. Stephen Bronk bietet als spießig selbstgefälliger Gemeindevorsteher eher rauh-heisere Töne.

 Das Orchester der Deutschen Oper Berlin zaubert unter der etwas unentschiedenen Leitung von Donald Runnicles viele schöne einzelne Eisblumen geformt aus dem überreichen musikalischen Material hervor. Diese wirken oftmals wie von einem scharfen Messer isoliert herausgelöst aus den Notenblättern. Statt grüner Bäume, dunkler Teiche und aus Hügelkämmen ragenden Kirchspitzen als tschechischem Lokalkolorit hören wir einen schwarz-weißen Scherenschnitt. Wenig schwingt aus und entwickelt sich organisch fließend. Im zweiten und dritten Akt lässt Runnicles mit fein gezeichneten Details und Lyrismen   wieder aufhorchen. In den romantischen Ariosi, dem Gebet und Schlussduett berührt auch  Michaela Kaune. Am Ende war man Zeuge einer guten Repertoireaufführung mit mittlerem Applauspegel. Worin allerdings die kulturpolitische Notwendigkeit besteht, diese szenisch und optisch wenig interessante und musikalisch gepflegt langweilige Aufführung der Nachwelt zu überliefern, erschließt sich mir auch nach längerem Grübeln nicht.

 Dr. Ingobert Waltenberger

 

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