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BERLIN / Deutsche Oper: DUATO/ KYLIÁN/ NAHARIN

24.10.2015 | Ballett/Performance

Berlin/ Staatsballett: gelungene Saisoneröffnung mit Duato/Kylián/Naharin, 23.10.2015

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Szene aus La Petite Mort, Foto Yan Revazov/Staatsballett

Genau so wie jetzt – in seiner zweiten Saison als Chef des Staatsballetts Berlin – hätte Duato im Vorjahr beginnen müssen, so leidenschaftlich und lebhaft bis ins jung Ausdruckstänzerische. Dann wäre ihm manche Kritik erspart geblieben. Denn sein sehr verhaltener, wenig animierender Einstand sowie die 8 Streiks der Tanzcompanie sind nicht ohne Folgen geblieben. Schon bei dieser zweiten Aufführung bleiben nicht wenige Plätze in der großen Deutschen Oper leer. So gesehen muss vieles wieder gut gemacht werden.

Dazu kann und sollte dieser Abend beitragen, denn jetzt sind Schwung, Witz und Erotik angesagt, bannen interessante, höchst unterschiedliche Choreographien den Blick. Ganz neu sind die (wiederum) drei kurzen Stücke zwar nicht, aber sie haben Gehalt, sind intensiv und werden zur Musik vom Tonträger mit Verve getanzt.

Das gilt auch für Duatos eigene Arbeit „CASTRATI“ von 2002, auf der neun Tänzer über die schwarze Bühne wirbeln. Acht Männer in dunklen, schwingenden, jedoch tief dekolletierten Kutten (Kostüme: Francis Montesinos), die ihre Virilität ausleben dürfen und das mit hohem Einsatz tun. Ganz ohne Frauen, auf die sie Rücksicht nehmen müssten, können sie sich ruppig äußern. Eine mönchisch wirkende fanatische Gruppe ist hier am Werk, die ein Opfer braucht und gefunden hat: einen zarten, fast nackten Novizen (Wei Wang), der wegen seiner schönen hellen Stimme zwangskastriert werden soll.

Die durchaus elegante Brutalität der acht Männer und die deutliche Angst des verzweifelt hin- und her flüchtenden fragilen Opfers geschehen zu den ebenso wunderbaren wie teils todtraurigen, von einem Countertenor gesungenen Weisen von Antonio Vivaldi (Nisi Dominus RV 608, Stabat Mater RV 621, Salve Regina RV 616, Concerto RV 439 „La notte“) und Karl Jenkins (Palladio).

Eine Geschichte aus ferner Vergangenheit? Keineswegs. Was im Barock die Verstümmelung durch Kastration war, heißt heutzutage Folter. Die Angst des jungen Mannes – ein weißes Opferlamm zwischen den Herrschenden – bleibt real und geht unter die Haut. Zuletzt umringen sie ihn, da gibt es kein Entkommen. Ein Stück, das schon nach der ersten temporeichen Szene Beifall erhält und schließlich zu Recht mit starkem Applaus belohnt wird. Die Tänzer neben Wang bei dieser Aufführung sind Bilenko, Ghalumyan, Grigoryan, Kollmannsperger, Pouzou, Orlenco, Walter und Yümak.

Danach wird’s jung. und lustig, sind die Großstadt -Teenager am Werke. Gemeint ist die zeitgenössische Choreographie „SECUS“ von Ohad Naharin, Leiter der Batsheva Dance Company in Tel Aviv, der den Berliner Ballettspielplan solchermaßen locker bereichert.

Er hat die Bewegungsmethode „Gaga“ erfunden, angeregt von Babylauten. Joga- und Pilates-Übungen klingen zu fetziger Musik an, doch Naharin lehrt die Protagonisten mehr als das: den eigenen Körper wahrzunehmen, auf ihn zu hören, sich fallen zu lassen und doch das innere Gleichgewicht (wieder) zu finden.

17 Tänzerinnen und Tänzer kommen auf die Bühne, zucken und verrenken sich, probieren sich aus, wissen kaum wohin mit all’ ihrer Energie. Mal machen sie einander an, initiieren kurz lässige Pas de deux, rollen auf dem Boden und gehen wieder vondannen. Ein junges Bewegungsvokabular in Trainingsklamotten. Putzmunter geht es zu, nicht einfach so, auch das ist zunächst unauffällig choreographiert. Schließlich stehen sie alle in einer langen Reihe, jede und jeder tritt vor und zeigt ein persönliches Mini-Stück.

Und dann wird’s plötzlich beklemmend aktuell: „You‘re Welcome“ von den Beach Boys erklingt. Wieder treten die Interpreten einzeln vor, breiten zum Willkommen die Arme aus, schlagen dann aber erschreckt die Hände vors Gesicht und gehen angstgekrümmt ab. Die neue deutsche „Willkommenskultur“ und gleich danach die Furcht vor soviel Fremdheit. Ein sehr eindringlicher und zeitgenauer Schluss. Großer Jubel und Gekiekse danach.

Zuletzt Jiří Kyliáns „Petite mort“, choreographiert 1991 für 6 Männer und 6 Frauen nach den Adagio-Sätzen der Klavierkonzerte Nr. 21 und 23 von Wolfgang Amadeus Mozart. „Petite mort“ ist der französische Ausdruck für Orgasmus. Gezeigt werden Begehren und Sex einer Gruppe von 6 Fechtern im Zeichen der Degen, mit dem die Tänzer zunächst virtuos und gefährlich echt hantieren.

Die Waffe bleibt mitunter auch beim Liebesakt präsent. Mozart-Klänge im bewussten Kontrast zum Geschehen, zu Männlichkeitswahn und –symbol contra Gefühl. Spannend ist das anzusehen, wird auch hervorragend getanzt von den Damen Kaltenbach, Pavlova, Boumpouli, Dickie, Pris und Volontini sowie ihren Partnern Lorenz, Marinov, Spallitta, Hodal, Kaniskin und Vidal.

Dennoch wirkt dieses Stück etwas weit hergeholt, und Kylián selbst karikiert das. Plötzlich rollen Kostüme mit riesigen Reifröcken (von Joke Visser) über die Bühne, mit denen die Damen wie anno dunnemal hin- und herzuschweben scheinen. Ein Gag, der die Zuschauer auflachen lässt. Hinterher vehementer Applaus.

Ursula Wiegand

Weitere Vorstellungen 27. und 29. Oktober, 04. und 20. November sowie am 02. und 10. März 2016

 

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