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BERLIN/ Deutsche Oper: DON GIOVANNI – Tödliche Golfpartie im Cirque Noir

28.05.2014 | KRITIKEN, Oper

BERLIN/Deutsche Oper: DON GIOVANNI, 27.5.2014. Tödliche Golfpartie im Cirque Noir

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 2. Akt; „Friedhofszene“ als Happening in einem Berliner Club. Foto: Marcus Lieberenz

 Kann man eine Inszenierung eines Schlüsselwerks der gesamten Operngeschichte auf den genius loci hinschneidern? Man(n) kann und wie! Und zwar auf so außerordentlich und eindringlich Art und Weise, dass einem der Atem stockt. Roland Schwab siedelt seine Interpretation des Don Giovanni in der heutigen Berliner Clubszene an, alle kalt, berechnend, kindisch, das kollektive Erlebnis suchend. Giovanni in einer endlos sich wiederholenden Fetisch Sado-Maso-Langeweile-Schleife taugt bestens zur Selbstreflexion einer Metropole, die ihr eigenes Freiheitsfest im Clubtempel Berghain am Wriezener Bahnhof zu einer weltweit gehypten Marke zelebriert.

 Frauen dienen den multipliplizierten Giovannis und Leporellos (alle sinnigerweise gleich gekleidet am Golfplatz ihre Schläger gegen die Schädel kümmerlicher Lustverhinderer gerichtet) nur als Projektionsraum für seelischen Schmerz, um die eigene Leere und letztlich das nach Strafe und Erlösung schreiende Ego mit irgend etwas wie kosmischen Techno-Lärm zu füllen. Das gleichgesinnte in schwarz gekleidete männliche Völkchen (Kostüme Renée Listerdal) schließt sich bündlerisch-totalitär zu einer trendy, schicken, geschlossenen Bande in ihre eigene Unzulänglichkeit. Die hat ihre festgezimmerten Riten, Bewegungen, Kürzel. Der schweißtriefende Kitt, der diese Nihilisten der Ewigkeit zusammenhält, besteht aus sexueller Gewalt, Drogen und dem gnadenlosen Gesetz der Gesetzlosen. Das erinnert an den genialen Roman „Tag eines Opritschnik“ von Vladimir Sorokin.

 Zwei Beispiele sollen verdeutlichen wie diese Inszenierung, die auf leerer schwarzer Bühne spielt, funktioniert. Leporello, in der Deutung von Roland Schwab ein faunisch-komischer Lüstling mit Hang zu Latex und Hüftschwung, konserviert die Eroberungen Don Giovannis nicht in einem schönen Registerbüchlein, sondern in einem schwarzen Müllsack, wie sie in Berlin in Clubs als Garderobe dienen. Darin sind auf abgerissenen Küchenrollenstreifen zusammengeknüllt die namenlosen Frauen Giovannis geschmiert. Und die schmeißt er Elvira vor die Füße, man kann sich vorstellen mit welchen Resten von Körperflüssigkeiten getränkt. Am Ende der Arie als der Sack geleert ist, versucht Leporello, sich den Sack selber umzustülpen. Welch anschauliches Bild für die innersten Sehnsüchte von Giovannis Zeremonienmeister des Abgrunds.

 Oder der Schluss der Oper, die Höllenfahrt Giovannis, als Drogenparty mit Versatzstücken der Kulturgeschichte, wie letztem Abendmahl und Dinner for two in Szene gesetzt. Alex Esposito als Leporello taumelt besoffen, um die zwölf Weinkelche zu füllen und stolpert nicht über einen Teppichzipfel, sondern die Leiche eines von Giovanni erwürgten Mädchens. Trotz des unheimlich grausigen Settings gewinnt der Regisseur selbst solchen extremen Szenen eine Leichtigkeit und etwas fliegend-ephemeres ab, dass die Bezeichnung dramma giocoso vollkommen verständlich wird. Auf das Schlusssextett wird verzichtet, die Bande erwacht aus der Betäubung und morgen wird die Sache wieder von vorne beginnen. Die unendliche Wiederholung als die eigentliche Menschheitshölle….

 Gesungen und dargestellt wird trotz der wegen Krankheit kurzfristigen Absage von Ildebrando d‘Arcangelo in der Hauptrolle sehr sehr gut. Die Palme gebührt Alex Esposito als Leporello, unangefochtener Publikumsliebling, dem die Rolle und spezifische Sicht auf den Leib geschneidert scheinen. Er vollbringt ein Opern-Kabinettstück, vergleichbar mit Gruberovas Zerbinetta. Sein markant heller Bariton hat alle Zwischentöne parat, virtous tänzelt er alle Ecken seiner Seele ab. Der Brite Marc Stone als Don Giovanni singt mehr als achtbar. Sein samtiger Kavaliersbariton gewinnt am Schluss auch die nötige existenzielle Eindringlichkeit. Spätestes  seit dem Glyndebourner Rosenkavalier verbietet sich aber jede Aussage darüber, wer da wohl der schönere Giovanni auf der Bühne gewesen wäre. Thomas Blondelle hat seinen Dermota gut studiert und singt dementsprechend stilistisch exzellent. Der arme Don Ottavio als trister Helfer von Annas Rachefantasien mit einer noch tristeren Ehe vor sich. Albert Pesendorfer als der von Golfschlägern erschlagene Komtur dröhnt seine düstere Einladung zum finalen letzten Mahl rauh-rauchig durch graue Eisengitter. Der hell gekleidete Bräutigam Marko Mimica gibt als Massetto mit schönem Bass den (noch) tölpelig-unschuldigen, bald in tiefere Geheimnisse initiierten Berliner Ankömmling. 

 Die gequälte, dennoch das böse Spiel mitmachende Damenriege wird angeführt von der Donna Anna der Elena Mosuc. Sie verfügt über einen höhenlastigen Koloratursopran, der die höllische Tessitura der Partie mit links meistert. Mancher könnte meinen, die Stimme sei etwas leichtgewichtig à la Maria Stader (in der Fricsay Aufnahme), mir gefällt das aber, weil der Fokus der Stimme sitzt und Elena Mosuc als Typ hervorragend in die Inszenierung passt. Donna Elvira wird von Dinara Alieva bei allzu monochromer Farbgebung technisch sauber vorgetragen. Selbst die gefürchtete zweite Arie kann der Zuschauer ohne Einschränkung genießen. Jana Kurucovà  als Zerlina ist in Berlin sowieso schon eine eigene Klasse. Besser kann Mozart nicht gesungen werden. 

Das einzige b-moll der Aufführung kommt aus dem Orchestergraben. So provinziell-brav, spannungsarm und hinbuchstabiert darf die geniale Don Giovanni Partitur nicht klingen. Zumal in so einer intensiven szenischen Deutung wie an der deutschen Oper Berlin. Herr Friedemann Layer, bitte Bruno Walter MET 42 anhören.

 Ingobert Waltenberger

 

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