Berlin/ Deutsche Oper: „DIE LIEBE ZU DEN DREI ORANGEN, 13.12.2012
Fassade der Deutschen Oper. Foto: Ursula Wiegand
Der Vorhang fällt, und ein spontaner Bravo-Schrei hallt durch die Deutsche Oper Berlin. Begeisterung bricht sich Bahn, hat das Publikum doch 2 ½ Stunden lang einen Wirbelsturm absurder Einfälle – gewürzt mit Berliner Theatertradition – erlebt und sich dabei „bon amüsiert“.
Dieses Amüsement ist vor allem dem international renommierten Regisseur Robert Carsen zu verdanken, der das erste Mal in Berlin inszeniert, Theater im Theater spielen lässt und das gesamte Geschehen direkt und indirekt in bestes Licht setzt.
Wir erleben einen gedanklichen Slapstick, der sich gleichzeitig über sich selbst lustig macht. Die Ideen überkugeln sich, und genau so tut es die Musik von Sergej Prokofjew, mit Schwung dargeboten vom Orchester der Deutschen Oper Berlin unter Steven Sloane.
Hier schillern die Noten, die Einfälle und die Kostüme (Buki Shiff) um die Wette. Alles wird auf den Arm und gleichzeitig doch ein bisschen ernst genommen. Schon die Textvorlage von Carlo Gozzi (18. Jahrhundert) hat es in sich und wird nun mit viel Augenzwinkern aktualisiert. Zehn Spötter kommentieren die abstruse Handlung und treiben sie mit Verve voran.
Gleich anfangs rennt zunächst ein Theaterpublikum auf die von Paul Steinberg eingerichtete Bühne und streitet sich darüber, was künftig gespielt werden soll: Tragödien, Rührseliges oder bloße Unterhaltung. Eine mit Kalaschnikows bewaffnete Guerilla-Gang stürmt ebenfalls auf die Bretter oder nimmt die Zuschauer ins Visier. Und vor der Pause brüllt noch eine Truppe „arm, aber sexy“, das vom Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit erfundene neue Berlin-Motto. Klar, dass die Zuhörer in Lachen ausbrechen.
Ansonsten haben in diesem turbulenten Stück nicht alle was zu lachen. Wie im Märchen und wie im wahren Leben gibt es die Bösen, die den Guten den Garaus machen wollen. In diesem Fall dem an Melancholie leidenden Prinzen. Der lacht nie und will auch nie lachen.
Heidi Melton (Fata Morgana), Paul Gay (Tschelio), mittig Thomas Blondelle (Prinz). Foto Barbara Aumüller für die Deutsche Oper Berlin
Doch auch hier gilt das alte Sprichwort: „Schadenfreude ist die reinste Freude.“ Während er beim lustigen Fest keine Miene verzieht, kann er sich beim Stolpern der dicken Zauberin Fata Morgana (Heidi Melton) vor Lachen kaum halten.
Die findet das gar nicht lustig und verflucht ihn bekanntlich dazu, drei Orangen zu lieben. Überdimensional erscheint ihr fluchender Mund auf einem Video (Robert Pflanz). Den Prinzen beeindruckt das nicht, im Gegenteil. Thomas Blondelle macht die abrupte Wandlung vom wehleidigen Waschlappen zum mutigen jungen Mann auf der Suche nach diesen Früchten gesanglich und darstellerisch überzeugend deutlich.
Zu den Bösen gehören außerdem die Prinzessin Clarisse (schick: Clémentine Margaine) und Minister Léandre (Markus Brück mit gekonnt schäbigen Tönen). Sie trachten dem Prinzen nach dem Leben, wovon aber der gütige König (Albert Pesendorfer mit volumigem Wagner-Bass) nichts ahnt.
Zu dem Prinzen halten andererseits der Magier Tschelio (Paul Gay, ein Herr in Pose und Gesang) sowie insbesondere Truffaldino, der Spaßmacher des Königs. Zitternd und zagend begleitet er den Prinzen auf der Suche nach diesen drei Orangen. Burkhard Ulrich macht was aus dieser Rolle. Gefallen findet auch Seth Carico als Teufel Farfarello, der ständig mit einem großen Besen den Boden schrubbt. Wäre wohl in Berlin auch mal nötig, denken sicherlich einige der kichernden Zuschauer.
Als Köchin imponiert Tobias Kehrer, ein wahrer Hüne, der vom Klo kommend, Furcht erregend den riesigen Kochlöffel schwingt. Genau an diesem Örtchen finden die beiden Eindringlinge die drei Orangen. Solch ein Fundort hat in Berlin ebenfalls eine gewisse Theatertradition.
Auf der Flucht werden die drei Orangen jedoch immer größer und wachsen sich in der Wüste zu stattlichen Kartons aus. „Komische orange“, „Deutsche Orange“ und „Staatsorange“ (welch ein Gag!) steht darauf, und wieder kichern die Zuschauer.
Kurz vorm Verdursten schneidet nun Truffaldino, während der Prinz schläft, zwei der Kartons auf, um sich am Saft der Orangen zu laben. Pech gehabt. Der Inhalt, die beiden zarten Prinzessinnen Linetta: (Rachel Hauge) und Nicoletta (Kim-Lillian Strebel), sterben alsbald vor Durst.
Und die dritte, Ninetta? Die – Heidi Stober mit zartem Sopran – überlebt als einzige. Denn über sie – die „Deutsche orange“ – ergießen sich aus einem Eimer zwar keine Wassermengen, sondern Geldscheine. Schön wär’s und verdient ebenso.
Noch weitere sind in das abstruse und erheiternde Durcheinander verwickelt, so die Sklavin Smeraldine, eine flotte Biene (Dana Beth Miller), die der Prinz anstelle der in eine Ratte verzauberten Prinzessin ehelichen soll. Auch die Chöre unter William Spaulding und das Opernballett (Choreographie Philippe Giraudeau) bringen, wie man so sagt, Butter an die Fische.
Insgesamt ein gelungener Abend mit Gute-Laune- und Zukunfts-Potential. Das Publikum applaudiert heftig und ruft erneut Bravo.
Ursula Wiegand
Weitere Termine: 17., 21., 25. Dezember und erneut am 5. und 13. April 2013.