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BERLIN/ Deutsche Oper: BILLY BUDD und der Bedenkenträger von Benjamin Britten

31.05.2014 | KRITIKEN, Oper

Berlin/ Deutsche Oper: „BILLY BUDD“ und der Bedenkenträger von Benjamin Britten, 31.05.2014

Warum hat Captain Edward Fairfax Vere den jungen Billy Budd nicht begnadigt? „Sterne-Vere“ wurde der beliebte Befehlshaber von der Mannschaft genannt, eine Lichtfigur in einem weißen Kapitänsmantel (Kostüme: Constanze Hoffman) in dem von Gewalttätigkeit und Erniedrigung geprägten Leben der Matrosen auf dem Schiff „Indomitable“ (Die Unbezwingliche).

John Chest als Billy Budd, Foto Marcus Lieberenz für Deutsche Oper Berlin
John Chest als Billy Budd, Foto Marcus Lieberenz für Deutsche Oper Berlin

Und in unbezwinglicher Weise sind es die Chöre der Deutschen Oper Berlin, einstudiert von William Spaulding, die diese Mannschaft stimmgewaltig und spielfreudig präsentieren (gelegentlich plus Kinderchor unter Christian Lindhorst). – Zusammen mit dem Orchester des Hauses unter der leidenschaftlichen Stabführung von Donald Runnicles, werden die Chöre die Vorantreiber dieser Benjamin-Britten-Oper, die sich auf eine Novelle von Hermann Melville, dem Autor von „Moby Dick“, bezieht.

Die andere Lichtfigur ist der junge Billy Budd, ein zwangsweise Rekrutierter, der sich dennoch freut, nun Seemann zu werden, den all’ diese klaustrophische Düsternis auf diesem Schiff (Bühne: Paul Steinberg) und die rauen Sitten dieser Männergesellschaft gar nicht stören.

Er ist ein Beispiel für „Schönheit, Anmut und Güte“, so heißt es immer wieder und wird sofort von allen geliebt. Leider auch von John Claggert, dem brutalen, allseits verhassten Waffenmeister, der Spaß daran hat, andere zu schikanieren und fast zu Tode prügeln zu lassen.

Auch er erliegt Billys Charme, doch auf eine Weise, die nicht statthaft ist. Schon das rote Halstuch, das er ihm – in der einprägsamen Inszenierung von David Alden – abgenommen hat und nun ständig bei sich trägt, stachelt seine Begierde an.

Der einzige Ausweg, den dieser Dämon für sich weiß: die Vernichtung des jungen Mannes, um sich das verbotene Begehren aus der finsteren Seele zu reißen. Billy Budds anfänglicher und ganz unverfänglicher Ruf mit dem Wort „Menschenrechte“ nimmt Claggert zum Anlass, eine böse Intrige zu schmieden und Billy wider besseres Wissen der Meuterei zu beschuldigen.

Die „Arie“, in der Gidon Saks mit markantem Bass-Bariton seine innere Zerrissenheit und den perfiden Plan verdeutlicht, gehört zu den Höhepunkten des Abends. Dieser attraktive Bösewicht ist übrigens der einzige Gast dieser Aufführung, die ansonsten von den Ensemblemitgliedern der Deutschen Oper in Englischer Sprache perfekt bestritten wird!

„Ja, ich hätte ihn retten können,“ mit diesen Worten beginnt der Prolog des alten, lange außer Dienst befindlichen Kapitäns, großartig mit all’ seinen Stimmungsschwankungen gesungen von Burkhard Ulrich. Seine Kapitänssuite ist der einzig helle Raum auf diesem dunklen Schiff. Ausgerechnet dort wird Billy, der eigentlich eine Beförderung erwartet hatte, zum Tode verurteilt.

Diesen stets positiv gestimmten, vom Seemannsleben begeisterten und allseits hilfsbereiten Boy singt der junge John Chest mit hellem geschmeidigem Bariton. Auch darstellerisch verkörpert er plausibel den jungen Enthusiasten, der schließlich ganz wie ein Mann den Urteilsspruch akzeptiert: Tod durch Erhängen. Da ihm, dem Stotterer, bei den Anschuldigungen des Waffenmeisters die Stimme versagte, hat er zugeschlagen und den Vorgesetzten unabsichtlich getötet.

Darauf steht nach dem Kriegsrecht die Todesstrafe. Der Kapitän ruft das Kriegsgericht ein. Eigentlich möchte niemand Billy Budd am Galgen hängen sehen, doch die Drei (Markus Brück, Albert Pesendorfer und Tobias Kehrer), halten sich ängstlich an den Buchstraben des Gesetzes. Traurig und verzweifelt klingt ihre Entschuldigung „We have no choice, we have no choice.“

Kapitän Vere, der einzige Zeuge des Geschehens, hätte diese Wahl gehabt. Der hatte Claggert durchschaut, und Billys Begnadigung hätte die Mannschaft begeistert. Als größter Bedenkenträger von allen akzeptiert er jedoch diesen harten Schuldspruch, die Verurteilung des Mannes, den er – ganz für sich allein – den Engel Gottes nennt, der mit einem Faustschlag das Böse auf dem Schiff getilgt hat. Eine völlig unverständliche Feigheit, die ihn als alter Mann noch reut.

Sein einziger Trost: der zu Unrecht verurteilte Billy Budd hat ihm verziehen und ihn mit seinen letzten Worten gesegnet. Im Stück selbst wird die lange Nacht vor der Hinrichtung zu einer ergreifenden Szene. Mit einem Getränk vom mutigen alten Dansker (Lenus Carlson) gelabt, richtet er sich auf seinen baldigen Tod und den Frieden auf dem Meeresboden ein. Hier gehen John Chests Kantilenen unter die Haut.

Ein insgesamt starker und stark bejubelter Abend, übrigens eine Koproduktion mit der English National Opera und dem Bolschoi Theater. Nach dieser dritten Aufführung gibt es nur noch 2 weitere Termine am 3. und 6. Juni.

Ursula Wiegand

 

 

 

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