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BERLIN/ Berliner Ensemble: PENTHESILEA von Heinrich von Kleist

 

Penthesilea mit Constanze Becker und Felix Resch, Copyright Birgit Hupfeld
Penthesilea mit Constanze Becker und Felix Resch, Copyright Birgit Hupfeld

Berlin/ Berliner Ensemble:PENTHESILEA“ von Heinrich von Kleist, 03.02.2018

Eine Rampe mit starkem Gefälle, kreiert von Olaf Altmann, beherrscht die ansonsten stockdunkle, im Arbeitszustand belassene Bühne. Leicht könnten auf dieser Schräge alle das Gleichgewicht einbüßen, abstürzen, jede Sicherheit verlieren, sich die Knochen und die Seele brechen.

Genau so geschieht es, ist eigentlich schon geschehen, hat doch Regisseur Michael Thalheimer in seiner „Penthesilea“-Version den Schluss an den Anfang gestellt. Ganz oben auf diesem dort verjüngten, hell beleuchteten Steg, weit weg vom Publikum, sitzt Penthesilea mit Blut beschmierten Brüsten und hält den toten, Blut überströmten Achill (Felix Resch) quer auf dem Schoß, wie einst Maria ihren am Kreuz gestorbenen Jesus.

Anders als diese ist Penthesilea – Constanze Becker – eine sonderbar glückliche Frau. „Ach“, sagt sie leise, so als erwache sie aus einem bösen Traum. Sie fühlt sich im Elysium, während ihr plötzlich das Blut aus dem Mund rinnt. Auch sie eine Tote, gescheitert an ihrer hemmungslos wilden, vom Kriegerinnen-Stolz überwucherten Liebe.

Penthesilea ist die Königin der Amazonen, die nach der Tötung all’ ihrer Stammesmänner und der Vergewaltigung der Frauen durch fremde Horden einen Frauenstaat gegründet haben. Im Krieg um Troja ziehen sie gegen sämtliche Truppen zu Feld. Sie selbst hat Achill, den griechischen Heerführer und „herrlichen Göttersohn“, auf schlimmste Weise ermordet. Hat ihn, der sich in ebenfalls wahnsinniger Liebe von ihr besiegen ließ, von ihren Hunden zerreißen lassen und sich kannibalisch in sein Fleisch verbissen, was aber nur erzählt wird.

„Wir vernichten, was wir lieben“, so kommentierte die Schriftstellerin Christa Wolf den grauslichen antiken Mythus, den Heinrich von Kleist als Stoff erwählte und in eine höchst expressive Sprache kleidete. Fürs Theater war dieses 1808 erschienene Werk nicht gedacht, nur als Lesestück.

„Auf den Knien meines Herzens“ widmete Kleist seine „Penthesilea“ dem Herrn Goethe und schrieb dazu: „Sie hat ihn wirklich aufgegessen, den Achill, vor Liebe. Erschrecken Sie nicht, es läßt sich lesen.“ Der jedoch, der seine „Iphigenie“ weichspülend in edle Klassik hüllte, reagierte kühl auf das Präsent dieses vorzeitigen Vertreters der Moderne.

Dass die „Penthesilea“ doch aufführbar ist, hat 1876 zuerst das Königliche Schauspielhaus in Berlin bewiesen. Weitere Darstellungen folgten, u.a. von Hans Neuenfels mit seiner Frau Elisabeth Trissenaar in der Titelrolle. Er realisierte in den 1980’er Jahren die Vollversion von viereinhalb Stunden im Schiller Theater.

Thalheimer, der geübte Verdichter, strafft das Drama auf rd. 100 Minuten, lässt das Kriegsgeschehen weitgehend außen vor und konzentriert aufs Wesentliche: die Wahnsinnsliebe der beiden Feinde Penthesilea und Achill.

Beim ersten Blick ist es geschehen, und Achill zeigt sich fest entschlossen, die Schöne zu seiner Königin zu machen. Als dritte im Bunde, hier nur „Frau“ genannt, steht Josefin Platt in einem schlichten weißen Hemd (Kostüme: Nehle Balkhausen) als Berichterstattende und Warnende vorne auf der Bühne.

Diese Drei trugen bereits die Premiere im Dezember 2015 am Schauspiel Frankfurt zum Erfolg. Oliver Reese, dort sieben Jahre lang Intendant – und seit dieser Spielzeit in gleicher Position am Berliner Ensemble – hat sie mitsamt dem Regieteam von dort nach Berlin mitgebracht. Eine Bereicherung fürs BE, genau wie die ebenfalls importierte Medea.

Deutlich und eindrucksvoll sprechen sie Kleists wunderbare, die damaligen Geschmacksgrenzen sprengenden Verse und gehen schauspielerisch schonungslos an ihre Grenzen. Die anfangs im Jenseits glückliche Penthesilea stößt den toten Achill von ihrem Schoß, krachend kullert er die Schräge hinunter.

Penthesilea knöpft jetzt ihr blutbeflecktes gelbes Gewand über dem Busen zu. Nun beginnt das eigentliche Stück. Sie ist vom Pferd gestürzt, Achill hat sie besiegt. Von einem Albtraum gequält liegt sie am Boden. Nicht über den vermeintlichen Gegner triumphiert zu haben, ist das Schlimmste, was dieser kriegerischen Amazonen-Königin passieren kann.

Als sie erwacht und den griechischen Helden vor sich sieht, kann sie jedoch nicht mehr an sich halten. Sie umschlingt ihn, küsst ihn, schickt ihn dann aber wieder weg. Sie darf nur den Mann lieben und sich mit dem vereinigen, der besiegt zu ihren Füßen liegt.

Achill, ebenfalls liebestoll, setzt wagemutig alles auf eine Karte. Der will sich aus der Spirale von Krieg und Gewalt befreien, der will Penthesilea zur Frau. Kaum bewaffnet erscheint er zum verabredeten Zweikampf. Als Penthesilea das bemerkt, ist es zu spät. Sie hat ihn bereits getötet.

Constanze Becker gießt nun Felix Resch aus einer Kanne Theaterblut über den Kopf, fasst höchste Ekstase verdeutlichend,  mit blutigen Händen den blutbesudelten Kopf des Geliebten, küsst und küsst ihn. Eine unglaublich intensive, schockierende Liebes- und Gewaltszene.

Nach diesem sinnlosen Mord gibt sie sich selbst den Tod und macht daraus eine richtige Zeremonie. Der Krieg um Troja und der Krieg der Geschlechter haben das friedliche Miteinander unmöglich gemacht und zwei Liebende vernichtet. Ein verstörender, faszinierender und mit starkem Beifall bedachter Abend.

Ursula Wiegand

Genau so geschieht es, ist eigentlich schon geschehen, hat doch Regisseur Michael Thalheimer in seiner „Penthesilea“-Version den Schluss an den Anfang gestellt. Ganz oben auf diesem dort verjüngten, hell beleuchteten Steg, weit weg vom Publikum, sitzt Penthesilea mit Blut beschmierten Brüsten und hält den toten, Blut überströmten Achill (Felix Resch) quer auf dem Schoß, wie einst Maria ihren am Kreuz gestorbenen Jesus.