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BERLIN: AMERICAN LULU von Olga Neuwirth. Uraufführung

01.10.2012 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

Berlin, Komische Oper:  „AMERICAN LULU“, Uraufführung am 30.09.2012

Diese Uraufführung wäre beinahe geplatzt, hatte doch der Videokünstler Stan Douglas wenige Tage zuvor versucht, sie durch eine einstweilige Verfügung zu verhindern. Er argumentierte, die Idee, das Stück unter Farbigen in den USA spielen zu lassen, stamme ursprünglich von ihm und nicht nur von der österreichischen Komponistin Olga Neuwirth, die Alban Bergs „Lulu“ als Vorlage benutzt.

Das Gericht sah jedoch seinen Anteil als zu gering an, und so zog Stan Douglas den Antrag selbst zurück. Die Erleichterung an der Komischen Oper war groß. Andererseits erhöht solch ein Scharmützel kurz vor der Premiere die allgemeine Aufmerksamkeit. Also eine indirekte Werbung, über die Barrie Kosky, der neue Chef des Hauses, nicht böse sein müsste.

Olga Neuwirth hat Bergs Musik umgeformt und den nur ansatzweise vorhandenen 3. Akt weitgehend neu komponiert. Sie versetzt die Handlung ins Amerika der fünfziger und siebziger Jahre, als die Farbigen – heutzutage politisch korrekt als Afroamerikaner bezeichnet – noch stark diskriminiert wurden und um ihre Bürgerrechte kämpften. Demzufolge heißt das Stück jetzt „American Lulu“ und hat einen ins Englische übersetzten Text. Genauer gesagt sind nur die Frauen von dunkler Hautfarbe, Lulus sämtliche Liebhaber sind Weiße.

Zu Beginn sehen wir die schöne Marisol Montalvo im edlen Pelz und mit dunkler Sonnenbrille. Eine Frau, die nach 20 Jahren im horizontalen Gewerbe physisch und psychisch am Ende ist. Als Edelhure hat sie die Welt der Weißen erobert und ist reich geworden. Doch am Sex hat sie schon lange keinen Spaß mehr, nur noch am Geld.

Lulus Leben läuft anschließend in der Rückblende ab, d.h. zunächst in den 50’er Jahren in New Orleans. Passend dazu überantwortet Frau Neuwirth die Musik einem 27-köpfigen Jazzorchester mit weit mehr Bläsern als Streichern. Unter der musikalischen Leitung von Johannes Kalitzke geht die recht angenehm ins Ohr.

Natürlich steht und fällt die gesamte Oper mit der Lulu, und diese Rolle ist mit Marisol Montalvo ideal besetzt. Brillant singt und spielt sie sich durch ihre diversen Lebensabschnitte und Liebhaber, turtelt zunächst mit dem schwärmerischen Maler, hier einem jungen, durch sie erfolgreich werdenden Fotografen (Dmitry Golovnin). Der gibt sich bekanntlich die Kugel, als er durch Dr. Bloom (Claudio Otelli) – Lulus Retter und späterer Ehemann – von ihrem Vorleben erfährt.

Blooms Sohn Jimmy gibt Rolf Romei, und auch er macht seine Sache gut. Dass er sie liebt, obwohl Lulu seine Mutter vergiftet und seinen Vater (aus Versehen oder absichtlich) erschossen hat, bleibt mit normalem Verstand unbegreiflich.

Doch bei Alban Berg und Frank Wedekind (der die Textvorlage lieferte) ist mir als Frau vieles unbegreiflich. Beide treibt das erdgeisthafte Weib um, das ihnen unheimlich ist und nach dem sie doch gieren. Lulu als Engel „mit unschuldigen Kinderaugen“ und teuflischen Verführungskünsten.

Ein Gewinn für das Stück ist die fabelhafte Bluessängerin Della Miles, eine schlanke Frau in leuchtend rotem Kleid. Anstelle der lesbischen Gräfin Geschwitz spielt sie hier Lulus Freundin Eleanor und ist ihr ebenfalls verfallen.

Sie opfert ihren Körper, um Lulu die Flucht aus dem Gefängnis nach dem Schuss auf Dr. Bloom zu ermöglichen. Und sie erkennt es klar: Lulu hat ein Herz aus Stein. Daraus zieht sie – und das ist hier neu – die Konsequenzen. Sie macht sich von den Männern frei und schließt sich der Bürgerbewegung an. Geändert ist auch der Schluss: die ermordete Lulu sehen wir nur auf einem Video. Wie sie umgebracht wird und wer es getan hat, bleibt offen.

Ist diese Story in der ursprünglichen oder der jetzigen Form noch interessant? Zwar sind die Lulus keineswegs ausgestorben, doch zumindest auf mich wirkt die das Ganze irgendwie antiquiert. Lulus Leben und ihr Männerreigen, hier in 110 Minuten pausenlos dargeboten, berühren nicht wirklich.

Der russische Theater- und Filmregisseur Kirill Serebrennikov mit Erfahrungen am Moskauer Puschkin-Theater, am Bolschoi- und am Mariinskij-Theater, hat das offenbar erkannt und versucht, die Geschichte mit szenischen Einfällen zu beleben.

Er benutzt Videos, bringt die Gesichter in Großaufnahme, blendet Redetexte vom ermordeten Bürgerrechtler Martin Luther King ein. Gleich anfangs und auch am Schluss steht ein Podest mit roten Sesseln für die arrivierte Lulu auf der Bühne.

Auch hat er sie sehr hübsch ausstaffiert und stellt als Kontrast eine Riege von lächerlichen Anzugträgern an der Rampe auf. Gegen diese Lulu wirken sie alle blass. Der schwüle Sex der Fassung Berg/Wedekind bleibt außen vor, und der wäre bei der heutigen Überflutung mit Nacktheit aller Art kaum mehr zeitgemäß.

Das Publikum schaut sich das alles recht emotionslos an und spendet zuletzt allen Beteiligten einen freundlichen, doch recht kurzen Applaus. Begeisterung klingt anders. Nur die beiden Damen erhalten richtigerweise stärkeren Beifall.

Ursula Wiegand

Weitere Termine: 06. und 10.10., 06.11. und 17.11. sowie am 30.06.2013.

 

 

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