Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

BAYREUTH: GÖTTERDÄMMERUNG – Ende gut, gar nichts gut?

16.08.2014 | KRITIKEN, Oper

BAYREUTHER FESTSPIELE – GÖTTERDÄMMERUNG. 15. August 2014. Ende gut, gar nichts gut?

 Fast ein wenig enttäuschend war das unspektakuläre Ende der Götterdämmerung beim  Bayreuther Ring des Nibelungen. Eigentlich hatte man sich von Regisseur Frank Castorf ein Riesenfeuerwerk oder zumindest in Flammen stehende Ölfelder erwartet, wenn es um das zentrale Thema „Öl“ ging, das er ja der Wagner-Tetralogie überstülpte. Aber so viel Öl blieb am Schlusstag gar nicht übrig: ein paar unmotiviert aufgestapelte Öltonnen bei einer DDR-Chemiefabrik, ein paar Liter Benzin, die Brünnhilde bei ihrem Schlussgesang auf der Bühne verteilte, ja das war es schon. Viel mehr spielten die Film-Zitate aus „Öl-Filmen“ eine Rolle: „There will be blood“ aus dem Jahr 2007 und der James-Dean-Klassiker „Giganten“ werden auf der Bayreuth-Homepage als „empfohlen“ angegeben. In diesen beiden Hollywood-Filmen geht es ja um Ölsuche und –förderung, aber als Nicht-Cineast tat man sich schon schwer Bezüge zu dieser der Inszenierung herzustellen. Noch schwerer war das Unterfangen allerdings bei den ebenfalls erwähnten russischen Filmen „Tschapajew“ und „Panzerkreuzer Potemkin“.

 Naja, leicht gemacht hat es einem Castorf mit dieser Götterdämmerung ohnedies nicht. Es beginnt bereits mit den drei Nornen, die offenbar einem Voodoo-Kult nachgehen, mitten in Berlin, noch vor der Wende. Warum, wieso? Keine Idee! Die DDR wird zum zentralen Thema. Einmal Ost, dann wieder West. Irgendwo in Kreuzberg, die Gibichungenhalle ist eine Dönerbude, in welcher der bereits bekannte statierende Regieassistent den Kartoffelsalat mit Blut abschmeckt. Aber dafür hat er sich vielleicht Anregungen bei den Nornen geholt, die mit Tierblut die dreckigen Hinterhofwände beschmierten. Siegfried weckt auch nur wenig Sympathie, brutal und zynisch geht er ans Werk, sogar Penner werden verprügelt. Da kommt der finstere Hagen fast positiver rüber. Im Rockeroutfit (Kostüme Adriana Braga Peretzki) erschlägt er zwar den Helden und später auch Gunther, der in diesem Umfeld nur wenig imperiales Gehabe an den Tag legen kann und sich viel mehr um seine Schwester Gutrune (ein aufgewecktes Berliner Gör) zu kümmern hat. Diese bekam von Hagen ein Auto geschenkt, damit sie bei dem schändlichen Spiel mit Siegfried mitmacht. Und es war kein „Trabi“ – wie man vielleicht erwartet hätte – sondern eine BMW-Isetta (ja, das ist die mit der Einstiegstür vorne).

 Castorf hatte speziell die Figur Hagens mit sehr viel Akribie gezeichnet, etwa als dessen Freundin mit zwei Flugtickets nach dem Gespräch Hagen-Alberich auf ihn wartet. Und der sie auch im Stiegenhaus sexuell begehrt und vernascht. Apropos Sex: Auch Siegfried fackelt nicht lange und nimmt Gutrune – an den schon bekannten Wohnwagen gelehnt – nach dem ersten Schluck des „Vergessens-Rotweines“. Blut zur Genüge gibt es auch bei der Blutsbrüderschaft Siegfried/Gunther.

 Wie ein Fels in der Brandung steht Brünnhilde im Mittelpunkt. In goldenem Kleid ist sie immer der Augenfang, egal, ob in der Szene mit den Mannen Hagens (das Gewurl an der Dönerbox könnte auch im vierten Akt einer Carmen spielen) oder beim Herabschreiten der riesigen Freitreppe vor „Starke Scheite“.

 Ein Mercedes-Cabrio spielt auch eine Rolle als Gefährt für die drei Rheintöchter. Die drei Girls mit zweifelhaftem Ruf entsorgen den nun schon bekannten Statisten, der ebenfalls ums Leben kam, im Kofferraum. Viel Blut überall! Und sie vernaschen auch noch Siegfried vor dessen Ende. Geparkt war das Auto vor einem verhüllten Gebäude, das sich schließlich als die New Yorker Börse entpuppte. So, genug der Details! Was sollten also diese 15 Stunden Richard Wagner, gibt es eine Aussage? Eine Neudeutung unter dem Motto „Öl regiert die Welt“? Wohl kaum, zu unausgegoren, zu wenig griffig. Verfremdung und Theater a la Brecht als Stilmittel? Auch kaum zutreffend, da viele Handlungsstränge diametral zu den Bildern verliefen. Was sich für mich am enttäuschendsten herausstellte: Viele Eindrücke, fast zu viele, aber keinerlei neuer Erkenntnisgewinn und keine Erweiterung des Bewusstseins und des Wissens über den Stoff.

 Unbestritten gab es tolle Bilder zu sehen, unbestritten bot das Stilmittel der Videoeinblendungen viele Möglichkeiten (wobei aber die Überfrachtung gerade in der Götterdämmerung wieder Überhand nahm). Ich glaube immer noch an meine ursprüngliche These für diesen Ring: Skandale müssen sein, also liefern wir welche und kassieren dafür noch schönes Geld!

 Und auch beim Finale vermeinte man die bereits erwähnte nicht vorhandene Kooperation zwischen Regie und musikalischem Leiter förmlich zu spüren. Denn der ob seiner 115 Minuten Länge gefürchtete erste Akt bot eigentlich szenisch kaum etwas (sieht man einmal von den Blutorgien der Nornen ab), aber dennoch verging er wie im Flug. So spannend kam die Musik aus dem (überdachten) Graben und aus den Kehlen der Sänger. Und hätten die beiden miteinander gesprochen, dann wäre auch die szenische Umsetzung imposanter geworden. Kirill Petrenko baute bereits zu Beginn den Spannungsbogen so hervorragend auf, dass es fast automatisch so weitergehen musste. Dazu kam auch die Tatsache, dass das Festspielorchester prächtig spielte (gerade einmal drei minimale Wackler vernahm man an allen vier Abenden, die Abmischung der einzelnen Instrumentengruppen muss als sensationell bezeichnet werden).

 Das erwähnte Bühnenbild von Aleksandar Denić (Dönerbude vor verfallenden Backsteinfassaden, New York Stock Exchange, Freitreppe neben VEB Chemische Fabrik BUNA mit dem Werbeslogan „Plaste und Elaste aus Schkopau“) gefiel wieder besser als an den beiden Tagen zuvor, auch die Videosequenzen (auch hier merkt man die Vorlieben des Regieteams für den Film) kamen gut rüber (wenngleich es einer Bühne wie Bayreuth eigentlich nicht passieren dürfte, dass das Herablassen der Filmleinwand zweimal (!) nicht klappte und beide Male wiederholt werden musste.

 Bevor die einzelnen Solistenleistungen dran kommen gibt es ein Riesenlob für den von Eberhard Friedrich einstudierten Festspielchor, der in der Götterdämmerung üblicherweise eine „Stehpartie“ ist, bei dem aber an diesem Abend alle Sänger auch darstellerisch gefordert waren (warum sie englische, französische und amerikanische Fähnchen schwenken mussten durchschaute ich zwar nicht ganz, aber wahrscheinlich sollten diese die drei alliierten Staaten von Berlin repräsentieren).

 Nicht ganz nachvollziehen konnte ich die Buhrufe beim Schlussapplaus für den Siegfried von Lance Ryan. Bei den Vorhängen zuvor war der Tenor durchwegs akklamiert worden, am Ende so einer gnadenlosen Partie mit Missfallenskundgebungen konfrontiert zu werden muss für einen Sänger bitter sein, denn Ryan machte seine Sache wirklich gut. OK, vielleicht wären mehr Zwischentöne und Nuancen möglich gewesen, vielleicht wäre die Waldvogelerzählung vor dem Finale mit mehr Bruststimme zu singen gewesen, aber ich ziehe den Hut vor diesem Künstler, der oft in abstrusen, vom Regisseur geforderten Körpersituationen zu singen hatte. Uneingeschränkten Jubel gab es natürlich für Catherine Foster, denn an deren Brünnhilde gab es nun aber wahrlich gar nichts zu meckern. Eine herrliche Wärme spürte man auch in den oberen Regionen und so wenig Vibrato im Schlussgesang, das muss ihr erst eine nachmachen. Kommen wir zu Attila Jun, dem nicht gerade der beste Ruf vorauseilte. Aber sein Hagen gefiel mir erstaunlich gut, wenngleich natürlich an der Textdeutlichkeit zu feilen wäre. Der Schlussbeifall für ihn war jedenfalls gewaltig, ebenso gut weg kam Alejandro Marco-Buhrmester, der mir als verlässliche Besetzung für den Gunther erschien. Auf der gleichen Ebene würde ich Allison Oakes ansiedeln, die als Gutrune nichts falsch machte. Mehr beeindruckt war ich hingegen von Claudia Mahnke, die als Waltraute eindrucksvoll aufdrehte und darüber hinaus auch als 2. Norn auf der Bühne stand. Als erste Norn und als Floßhilde überraschte Okka von der Damerau mit sinnlichen tiefen Tönen, ordentlich gestaltete Christiane Kohl die dritte Norn. Die beiden restlichen Rheintöchter (Mirella Hagen und Julia Rutigliano) blieben zurückhaltend, Oleg Bryjak rundete seinen Alberich gut ab.

         Da es um den zweiten Durchlauf des Ring im heurigen Jahr handelte konnte sich das Buh-Geschrei nur kurz nach dem Ende des Stückes entfalten, wich aber bald einem Riesenjubel, der beim Erscheinen von Petrenko in einen Orkan überging.

Ernst Kopica

 

Diese Seite drucken