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BAYREUTH/ Festspielhaus/ Kino Münster Schloßtheater: DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG. Festspielpremiere

26.07.2017 | Oper

Bayreuth Festspielhaus – Münster Schloßtheater

 Die Meistersinger von Nürnberg – Premiere zeitversetzt am 25. Juli 2017

Bildergebnis für bayreuth Die Meistersinger
1. Akt „Fanget an!“. Copyright: Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

Zum zweiten Mal wurde die Eröffnungsvorstellung der Bayreuther Festspiele zeitversetzt in Kinos übertragen – Wagner für alle! In diesem Jahr waren es  „Die Meistersinger von Nürnberg“.  Bei zwei Pausen von jeweils 30 Minuten (incl. Pausenprogramm) bedeutete dies, daß die Übertragung  bis Mitternacht dauerte,  bis zu einer Zeit also, wo  auch in Bayreuth  die prominenten Premierengäste  vom Empfang der bayrischen Staatsregierung im Ehrenhof des Neuen Schlosses langsam ins Hotel zurückfanden.

Da hatten sie eine Aufführung erlebt auf höchstem musikalischen Niveau unter der Leitung von Philippe Jordan in einer Inszenierung von Barrie Kosky, die in unterhaltsamer Weise Wagners sehr grosses Selbstbewußtsein und seine Ich-Bezogenheit in den Vordergrund stellte.. Wie bei einem jüdischen Regisseur und der öffentlichen Voreingenommenheit gegen diese Oper nicht anders zu erwarten, wurde auch Wagners Antisemitismus überdeutlich dargestellt.

Durch Textprojektionen  auf den geschlossenen Vorhang vor Beginn eines jeden Aufzuges erfuhr der Zuschauer, was ihn an Stelle der von Wagner gewünschten Spielorte erwartete (Bühne Rebecca Ringst)

So spielte der erste Aufzug in der  Villa Wahnfried  am 13. August 1875 mittags bei einer Aussentemperatur von 23 Grad in der Bibliothek mit Bildern über den Bücherwänden von für Wagner wichtigen Personen u.a. von Bach, Schiller, Schopenhauer, aber auch von Ludwig II. von Bayern.

Während des Vorspiels  litt Cosima unter Migräne, ihr Vater Franz Liszt und Kapellmeister Hermann Levi kamen zu Besuch und Richard Wagner öffnete Pakete, so  eines mit einem Gemälde von Cosima (wohl nach Lenbach), das im Laufe der Vorstellung wie eine Art Leitmotiv immer wieder auftauchte. Beim schnellen Es-Dur Staccato des Meistersinger-motivs spielten Wagner und Liszt am Flügel, Wagner mit übertriebener Gestik, aber nach Liszts Mimik zu beurteilen  auch mit falschen Tönen, er war ja kein guter Pianist.

Zum Choral am Beginn des ersten Aufzugs wurde der Raum verdunkelt (Licht Franck Evin) und es wurden Kerzenleuchter hereingetragen. Wahrscheinlich Schwiegervater Abbé Liszts zu Ehren beteten und bekreuzigten sich alle bis auf Hermann Levi, der als Jude das natürlich unterließ, aber zum Knien und Aufstehen angehalten werden mußte, dies dann aber zur falschen Zeit tat.

Für den Fortgang des ersten Aufzuges wurde Cosima zu Eva, Liszt zu Pogner und Wagner dem Kostüm nach (Kostüme Klaus Bruns) zu Sachs, Stolzing und David gleichzeitig. Mühsam drängte Wagner Kapellmeister Levi in die Rolle Beckmessers. Die anderen Meister in Kostümen der Zeit, in der die Meistersinger eigentlich spielen, entstiegen dem Flügel, die Lehrbuben in ebensolchen Kostümen kamen von hinten. So konnte der Rest des Aufzugs mit witzig überdreht dargestellter Sitzung der Meister  ablaufen – das Gemerk wurde aus Bildern Wagners und Cosimas gestellt. Zum musikalisch nachdenklichen Schluß fuhr das ganze Bühnenbild nach hinten und vorn sah man erste Erwähnung der Nürnberger Prozesse mit einem Militärpolizisten und Fahnen der Siegermächte sowie einem Rednerpult, das später leitmotivartig wiederkehren sollte.

Der zweite Aufzug spielte in einem heruntergekommenen Garten, in dem anfangs Wagner alias Sachs und Cosima alias Eva picknickten. Da verlief die Handlung zunächst unterhaltsam und szenisch großartig gespielt. Als Stolzing überall Meister zu sehen glaubte, huschten gespenstische Musiker über die Bühne. Zur „Prügelszene“ wurde Beckmesser nicht nur zusammengeschlagen, ihm wurde eine Judenkarikatur als Maske aufgesetzt. Eine solche Maske mit Kippa und Judenstern wie ein Luftballon vergrössert nahm dann zusätzlich die ganze Bühne ein und sackte zum Schluß in sich zusammen.

 Eingestimmt  auf den dritten Aufzug wurde man mit der projezierten Mitteilung, bei der Zerstörung Nürnbergs wäre eine Bombardierung unter dem Decknamen  „Schräge Nachtmusik“ erfolgt.. Für den „Wahnmonolog“ wäre danach eine Ansicht des zerstörten Nürnberg passender gewesen, aber die hatte Konwitschny schon in Hamburg verwandt. So spielte der dritte Aufzug im Gerichtssaal der Nürnberger Prozesse. Trotzdem war die „Schusterstube“ eindringlich und unterhaltsam. Zum kleinen Walzer tanzte Wagner um das Bild Cosimas-Evas herum. Die Zünfte zogen wie gewohnt fahnenschwingend und kostümiert  in den Gerichtssaal ein, auch das Wettsingen lief wie bekannt ab. Gleich kostümiert siegte anstelle des alten Wagner (Sachs) der junge Wagner (Stolzing) – jedenfalls immer Wagner! Beckmesser wurde nach seinem Scheitern von der Bühne gedrängt. Nachdem  nach Stolzings Triumph alle  die Bühne verlassen hatten, hielt Sachs am erwähnten Stehpult ganz allein seine Schlußansprache, danach wurden Orchester und Chor auf einer Bühne hereingefahren und der dirigierte selbst den pompösen Schluß.

Diese Sicht auf die Handlung wurde, wenn überhaupt, nachvollziehbar durch den großartigen schauspielerischen Einsatz aller Mitwirkenden. Musikalisch blieben keine Wünsche offen. Mit grosser Stimme und je nach Situation  zu Ironie oder  zu Pomp wechselndem Timbre sang Michael Volle die Riesenpartie des Sachs, ohne daß man seiner Stimme irgendeine Ermüdung anhörte. Ganz großartig schauspielerisch  gestaltete Johannes Martin Kränzle die in dieser Inszenierung besonders heikle Partie des Beckmesser. Stimmlich begann er ausdrucksvoll die Koloraturen seines ersten Liedes und versuchte, im dritten Aufzug

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Copyright: Enrico Nawrath/ Bayreuther Festspiele

dem mißverstandenen Preislied einen etwas edlen Charakter zu verleihen. Wieder war Klaus Florian Vogt mit seinem helltimbrierten beweglich geführten und mühelos alle Spitzentöne treffenden Tenor ein idealer Stolzing. Daniel Behle als geübter Lied-Sänger machte aus Davids dichterischen und musikalischen Belehrungen im ersten Aufzug ein stimmliches  Kabinettsstückchen. Für den Pogner verfügte Günther Groissböck bis in tiefe Tiefen über einen mächtigen aber gegenüber Tochter Eva auch mitfühlend klingenden Baß. Als Karikatur eines Versammlungsleiters sang Daniel Schmutzhard mit einem fast zu edlen Baß. Einfühlsam sang Anne Schwanewilms Eva, traf alle Spitzentöne und ließ auch den Triller zum Ende von Walthers Preislied deutlich hören. Leider mußte sie manchmal recht zickig spielen. Auch Wiebke Lehmkuhl als Amme Magdalene und alle anderen Meister sangen insbesondere auch in den schwierigen Ensembles, etwa zum Schluß des ersten Aufzugs, genau und auf hohem stimmlichen Niveau.

Wie immer in Bayreuth und  insbesondere in den „Meistersingern“ kann die Leistung des Festspielchors in der Einstudierung von Eberhard Friedrich gar nicht genug gelobt und bewundert werden. Dabei war ein Vorteil der Inszenierung, daß die Sänger etwa in der „Prügelfuge“ und bei Aufzug der Zünfte nicht zusätzlich wild umherlaufen mußten.

Der Erfolg aller Mitwirkenden beruhte natürlich und bei den für Dirigenten schwierigen Bayreuther Verhältnissen  auch und vor allem auf der überlegenen, exakten aber doch flexiblen musikalischen Leitung durch Philippe Jordan. Die Verständigung zwischen Bühne und Orchester klappte ohne Zwischenfälle, was gerade bei dieser Oper wegen des polyphonen Orchestersatzes besonders hervorzuheben ist.. Letzterer war  dank des Einsatzes des Festspielorchesters für den Besucher im Kino deutlich zu hören. Instrumentale Soli konnte man bewundern, durchhörbar waren mehrstimmige Passagen. Ob das angesichts der für diese Oper nicht optimalen Akustik durch den verdeckten Graben auch im Festspielhaus so klang, kann hier nicht beurteilt werden

Bayreuther Festspiele: "Die Meistersinger von Nürnberg"
Schlussansprache des Hans Sachs. Michael Volle. Copyright: Enrico Nawrath/ Bayreuther Festspiele

Natürlich konnte Spiel und Gesichtsausdruck der Sänger im Kino besser erkannt werden als bei der grossen Entfernung zwischen Bühne und Zuschauer im Festspielhaus, manchmal hätte man vielleicht weniger Großaufnahmen  eines einzelnen Gesichts gewünscht.

Die Bereitschaft, einer solchen speziellen Inszenierung zu folgen, muß sich wohl bei den Festspielbesuchern gegenüber früheren Jahren verändert haben. Was früher vielleicht zu einem Buh-Orkan geführt hätte, beschränkte sich jetzt, soweit im Kino zu verfolgen, auf starken Beifall nach dem ersten, fast genau so nach dem zweiten Aufzug und auf verhältnismässig wenige Buhs für das Leitungsteam nach der Aufführung. Natürlich und mit allervollstem Recht wurden Sänger, Chor, Dirigent und Orchester mit jubelndem Applaus belohnt. Auch im nicht ausverkauften Kino gab es sogar unter Wagner-Fans kaum Kritik

 Sigi Brockmann 26. Juli 2017

 PS: Die Aufführung wird am Freitag, dem 28. Juli, abends auf 3-Sat gesendet.

 

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