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BAYREUTH/ Festspiele: LOHENGRIN. Premiere

Elektrizität geht durch Mark und Bein.

26.07.2018 | Oper


Der Regisseur Yuval Sharon. Foto: Youtube

„Lohengrin“ von Richard Wagner am 25. Juli 2018 als Auftakt der Bayreuther Festspiele/BAYREUTH

ELEKTRIZITÄT GEHT DURCH MARK UND BEIN

Der Regisseur Yuval Sharon liefert für seine „Lohengrin“-Inszenierung viele ungewöhnliche Bilder. Zauber und Fluch einer unkontrollierbaren Elektrizität stehen hier immer wieder deutlich im Mittelpunkt. Der Bühnenentwurf von Neo Rauch und Rosa Loy sieht einen Strommast vor, der den Bühnenmittelpunkt beherrscht. Für Sharon ist Brabant ein untergegangenes Land, man muss den Strom erst wieder dorthin bringen. Von diesem zentralen Gedanken lebt diese Inszenierung.

Der Einfluss der Realität aber macht Lohengrins Pläne zunichte. Mit seinem Gegner Friedrich von Telramund kämpft er wie ein gefallener Engel in der Luft, auch sein Schwert trägt den Nimbus eines Elektrizitätsstrahls. Eine ungewöhnliche Idee. Als Lohengrin im ersten Akt als Retter Elsas erscheint, steht der Palast total unter Strom und leuchtet hell auf. Das sind dann durchaus faszinierende Bilder, die sich tief einprägen. Im zweiten Akt erscheinen Telramund und seine dämonische Frau Ortrud hinter einer düsteren Wolkenlandschaft, die plötzlich verschwindet und wieder das Innere des Palastes freigibt. Im dritten Akt sieht man Lohengrins und Elsas Brautgemach in orangenen Farben, man nimmt an, dass es zwischen beiden nicht einmal zu einer intimen Begegnung gekommen ist. Zu sehr ist Elsa damit beschäftigt, Lohengrin nach seiner wahren Identität zu befragen. Das kostet diesen seine gesamte Existenz, er muss schließlich in einem Schwanennachen zurück zu seinem Vater Parsifal im überirdischen fernen Götterland. Zuvor hat er Elsa verzweifelt an einen Strommast gefesselt, der immer wieder gespenstisch aufleuchtet. Aber es nützt alles nichts – das Paar kommt nicht zusammen.

Und den Schwan sucht man hier auch vergebens. Ortrud stellt Lohengrin kühn in Frage. Sie fordert Elsa ultimativ auf, ihre kritischen Fähigkeiten zu gebrauchen. Am Schluss verlässt Elsa diese Gesellschaft und ihren falschen Glauben. Sie hinterlässt bei Sharon verbrannte Erde. Mit dem ganz in Grün gewandeten Thronfolger Gottfried schreitet sie ins Nichts. Ortrud wird von Schergen gefesselt, sie kann sich zuletzt nur mühsam befreien.

Surrealistisch wirkt das Bühnenbild mit seinem Delfter Kachelblau, die gestärkten Kragen eines Anthonis van Dyck treten hier in scharfen Kontrast mit der neoromanischen Industriearchitektur des frühen Elektrifizierungszeitalters. Vergangenheit und Moderne treffen sich schmerzhaft, lassen den getriebenen Protagonisten keinen Ausweg. Zweifellos ist der erste Akt dem Regisseur am besten gelungen, da hat er auch die riesigen Massen scharf im Griff. Das märchenhafte Kolorit der Oper wird bei Sharon ganz bewusst zurückgedrängt, nur angedeutet. Aber der elektrisierende Zauber dieser Inszenierung geht durchaus in den Orchestergraben über, wo Christian Thielemann mit dem Bayreuther Festspielorchester souverän agiert. Dabei ist sein „Lohengrin“ nicht schwerblütig, sondern an vielen Stellen leicht und sphärenhaft. Das zeigt sich schon zu Beginn bei der Niederkunft des Grals, wo der überirdische Reiz dieser Musik suggestiv beschworen wird. Die Beseligung der Menschheit durch das Heiligtum zeigt die Nähe zum „Parsifal“.

Dass der Gesang bei „Lohengrin“ der Deklamation entsprungen ist, macht die ausgezeichnete Sängermannschaft mehr als einmal deutlich. Da ist der ungemein höhensichere Lohengrin von Piotr Beczala, der seine Kantilenen in den höchsten Sphären leuchten lässt. Nichts wirkt hier gespielt, sondern alles erlebt und durchlitten. Anja Harteros ist eine Elsa von großem Format, die die leidenschaftlichen melodischen Höhenflüge ihrer Partie in allen Nuancen voll auskostet. Tomasz Konieczny glänzt als Friedrich von Telramund, Waltraud Meier ist seine stets ungeduldige Frau Ortrud, deren Stimme aus der Violoncellomelodie zu entspringen scheint. Das Rachemotiv steigert sich hier zu unheimlicher Größe empor, zeigt wiederholt seine erschreckenden Krallen, fesselt das Publikum mit seiner ungeheuren Klangmacht. Die Beschwörung der Götter zeigt bei Waltraud Meiers Ortrud eine schauerliche Macht, die die Stimme wiederholt erbeben lässt. Christian Thielemann folgt hier den Sängern in jeder Faser des Musizierens, Friedrich von Telramund und Ortrud verschmelzen förmlich mit den Instrumenten und zeigen einen ungewöhnlichen Klangfarbenreichtum. Der trotzige Rhythmus aus dem ersten Akt wird grell herausgearbeitet. Es ist ein kämpferischer Wagner, der da die Bühne des Bayreuther Festspielhauses beherrscht. Die Terz Fis-A schimmert hier gespenstisch durch, verwandelt sich dann bei Ortruds Götteranrufung in die Durterz Fis-Ais, wobei es Waltraud Meier gelingt, ihrer Stimme den Glanz der Wandlungsfähigkeit zu verleihen. Gefühlsmotive werden bei dieser gelungenen Darbietung in exzellenter Weise beleuchtet. Auch Lohengrins wild herausgeschleudertes Motiv des Zaubertrugs vermag Ortrud kaum zu bändigen. Und in dem dröhnenden Tonleitergang vermag sich Friedrich von Telramund in der robusten Darstellung von Tomasz Konieczny gut gegen die tobenden Massen zu behaupten. Elsas Verstummen klingt dabei fahl in den Oboen nach. Es herrscht permanenter seelischer Aufruhr zwischen den Figuren.

Georg Zeppenfeld als König Heinrich und Egils Silins als Heerrufer des Königs werden von diesem harmonischen Aufruhr ebenfalls angesteckt. Da bleibt nichts dem Zufall überlassen. In weiteren Rollen gefallen Michael Gniffke (1. Edler), Eric Laporte (2. Edler), Kay Stiefermann (3. Edler) und Timo Riihonen (4. Edler). Auch die Edelknaben Kitty de Geus, Annette Gutjahr, Maria Schlestein und Cornelia Ragg fügen sich gut in den klanglichen Rahmen ein. Zu erwähnen sind neben dem von Eberhard Friedrich in hervorragender Weise einstudierten Bayreuther Festspielchor noch die Edeldamen Verena Allertz, Stefanie Dasch, Kitty de Geus, Gesche Geier, Annette Gutjahr, Nathalie Flessa, Cosima Henseler, Simone Lerch, Zografia Maria Madesi, Uta Runne, Sandra Schütt Karolin Zeinert. Sie streuen bei der in seltsamem Blau gehaltenen Inszenierung die Blumen in eigenartiger Konfetti-Form, was dem Spannungsbogen aber nicht schadet. Gralmotiv und Lohengrin-Motiv werden in klaren Konturen herausgemeisselt.

Die Inszenierung spielt mit den geheimnisvollen Übergängen vom Unbewussten zum realen Leben und wird damit den Intentionen Wagners sehr wohl gerecht. Jubelstürme und Ovationen begleiteten diese Vorstellung, Widerspruch für die Inszenierung war kaum zu vernehmen (Licht: Reinhard Traub). 

Alexander Walther

 

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