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BASEL/Theater: THE RAKE’S PROGRESS

Ein arg böses Stück!

25.06.2018 | Allgemein, Oper

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Die heile Welt der Trueloves, beobachtet von Nick Shadow (Seth Carico). Im Bildrahmen: Tom Rakewell (Matthew Newlin) mit Anne (Hailey Clark) ©Sandra Then

 

Basel: THE RAKE’S PROGRESS – Aufführung vom 24.6.2018 (letzte Aufführung der Saison 17/18)

Ein arg böses Stück!   

Die am 11. September 1951 am Teatro Fenice in Venedig mit dem Ensemble der Scala di Milano uraufgeführte Oper Igor Strawinskys „The Rake’s Progress“ wirkt heute wieder viel moderner als noch vor einigen Jahren. Unsere Wahrnehmung hat sich offenbar verändert. Denn Strawinsky wurde von den damaligen Avantgardisten (Boulez etc.) das im Retro-Stil komponiertes Werk zum Vorwurf gemacht. Heute aber, im Bewusstsein von Stil-Mischung und Wiederzuwendung zum Barock, ist uns der sog. Klassizistische Stil Strawinskys viel näher als auch schon. Man hört wieder ganz anders hin, auf die witzig parodierten Formeln des Barock, Rokoko und auch der italienischen Oper.

Alte Barock- und Klassikformen werden verwendet, sogar das Cembalo für die Secco-Rezitative, und mit vielen Anklängen an Purcell, Händel, Mozart und auch romantischen Komponisten irrlichtert Strawinsky uns in eine Quasi-Welt des üppigen Rokoko, als Casanova und De Sade ihr Un-Wesen trieben. Zu Beginn sieht das idyllische Zuhause von Anne Truelove und ihrem Vater aus wie eine Rokoko-Figurengruppe aus Meissener Porzellan. Bühnenbild und Kostüme „im Stile von“ sind überhöht, sogar verfremdet. Als dann Tom Rakewell durch Nick Shadow, sein schwarzes Alter Ego, nach London, in die verderbliche Grossstadt mit ihren Verführungen und Verderbtheiten ver-führt wird, ist die Rokoko-Fassade nurmehr eine Maske und Kulisse. Darunter kommt die heutige, amerikanisierte Pop-„Kultur“ zum Vorschein. Das ist genau das, was Strawinsky und seine kongenialen Librettisten Wystan Hugh Auden und Chester Kallman wollten, nämlich am Beispiel historischer Verhältnisse ein Bild der Gegenwart und Zukunft zeigen. Bedenken wir, das war 1951, knappe sechs Jahre nach Beendigung des 2. Weltkrieges. Und jetzt?… 

Die Uraufführung ist uns auch noch nahe, denn ein Livemitschnitt (in akzeptabler Mono-Qualität) mit der Mozart- und Strauss-Sängerin Elisabeth Schwarzkopf als Anne Truelove ist erhalten. Der Komponist hatte ihr auch zwei wirklich vertrackte Arien auf den Leib geschneidert, was die Schwarzkopf offenbar damals fast zur Verzweiflung getrieben haben soll. Wie die Aufnahme beweist, hat sie den Test bestanden.


Das Kartenspiel ums Überleben von Nick (Seth Carico) mit Tom (Matthew Newlin). ©Sandra Then

So auch die Sängerin der Anne in der aktuellen Aufführung am Theater Basel, die Amerikanerin Hailey Clark, die zudem auch ein an die Schwarzkopf erinnerndes Timbre ihr eigen nennt. Die Partie meisterte sie mindestens ebenso gut wie ihre prominente Rollenvorgängerin. Als Tom Rakewell brillierte in der anspruchsvollen Titelpartie der Tenor Matthew Newlin, der sowohl den sängerischen als auch den schauspielerischen Anforderungen mehr als gerecht wurde und ein betroffen machendes Porträt des „Wüstlings“ darbot. Sein Schatten, Nick Shadow, fand seine ebenso gültige Verkörperung in Seth Carico, der mit seinem charaktervollen Bass-Bariton und eleganter Körpersprache zwischen Mephisto und Don Giovanni fluktuierte. Vater Truelove war zuverlässig Andrew Murphy und Eva-Maud Hubeaux gab eine fulminante Türken-Bab mit eindrucksvollem Mezzo. Sie konnte sogar Jazztöne anschlagen, als sie – wohl neben Ann die einzige, die ihre Lehren aus der Geschichte zieht – wieder zum Theater zurückgeht. Ein herrlicher Satz wird ihr in die Kehle gelegt „Wenn ihr mich dann wiederseht, müsst ihr dafür bezahlen!“

Copyright: Sandra Then

Sehr gut auch die Comprimarii wie der Auktionator Sellem von Karl-Heinz-Brandt, die Totengräber und vor allem als Mother Goose Theophana Illiewa-Otto, die nach der Vorstellung, zusammen mit einem Chormitglied, vom Intendanten unter grossem Applaus in den wohlverdienten Ruhestand verabschiedet wurde. Der Chor des Theaters Basel (Einstudierung: Michael Clark) machte seinem hervorragenden Ruf einmal mehr alle Ehre und sang homogen im Klang und verkörperte individuell die den einzelnen Chormitgliedern zugdachten Rollen. Ganz vorzüglich spielte das Kammerorchester Basel unter der energischen und souveränen Dirigentin Ansi Verwey. Am Cembalo wirkte Iryna Krasnovska. Tja, es war ein ausgesprochener Frauenabend, denn die virtuose Inszenierung mit ihren stilistischen Brechungen und der durchdachten Personenführung stammte von Lydia Steiner. Das Bühnenbild entwarf Katharina Schlif, wozu sich Ursula Kudrna für die phantasievollen Kostüme gesellte. 

Eine äusserst gelungene Aufführung der Oper des grossen Igor Strawinsky, dessen gesamter Nachlass sich in der Paul-Sacher-Stiftung in Basel befindet. Diese Aufführung war quasi ein Heimspiel für Basel – und eine Ehrensache dazu!   

John H. Mueller

 

 

 

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