Theater Basel: Im Turm zu Basel: Groteske von Theresia Walser – UA 15.9.2016
© Simon Hallström
Die Einheimischen in Basel munkelten zwar immer schon, dass in dem scheusslichen braunen 70er-Jahre-Turm am Bahnhof seltsame Dinge vorgingen: An Sonntagen parken dort dunkle Limousinen und besonnbrillte Bodygards stehen sich die Füsse platt. Seit Adam LeBor‘s 2014 erschienenem Buch „Der Turm zu Basel“ ist aber allen klar: Die BIZ (Bank für Internationalen Zahlungsausgleich) ist das wahre Zentrum der Macht. Denn wer hat mehr Macht als die Zentralbanken der Welt? Und die BIZ ist sozusagen ihr elitärer Club, der Turm ihr Clubhaus.
Die deutsche Autorin Theresia Walser hatte sich für den Werkauftrag von Andreas Beck durch zahlreiche Auszeichnungen („beste Nachwuchsautorin“ „beste deutschsprachige Autorin“, etc.) empfohlen. Und tatsächlich ist es die markige Sprache (an den etwas eigenen Stil mit den weggelassenen Modal- und Hilfsverben hat man sich schnell gewöhnt) mit jeder Menge zitierwürdiger Sätze, die an diesem Abend am meisten beeindruckt.
Ein Foto soll den Gründungsmoment 1930 (damals noch in einem Hotel am Basler Bahnhof) festhalten: Die (aus gutem Grunde tauben) Saaltöchter Fine (Liliane Amuat) und Lynn (Carina Braunschmidt) machen die Kamera bereit. Pars pro toto für das im Hintergrund hängende originale Gründungsbild stehen drei ältere Herren da. Dann wird vorwärtsgespult im Zeitraffer: Irgendwie in der Gegenwart („Hier hat Taubheit Tradition, seit 85 Jahren!“) im Inneren des braunen Ungetüms (trefflich reproduziert von Christian Kiehl), aber durch die Kostüme (Nicole Zielke) irgendwie auch zeitlos, bereitet Bankerin Tronje (meistert den vielen Text mit Bravour: Katja Jung) als Turmherrin das nächste grosse Meeting der 17 Mitglieder vor. Wichtigstes Traktandum: Finanzweltpapst Greepers (überzeugend: Thomas Reisinger) Ernennung seines Stellvertreters, ein Posten, auf den sich nicht nur Tronje, sondern auch der sich auf den Käsewagen freuende schleimige Guston (herrlich feige: Orlando Klaus), der wegen der über 3000 Bakterien auf Geldscheinen gleich das Geld abschaffen will, und der ständig Nüsse kauende Ferchl (kraftvoll-cholerisch: Simon Zagermann) – Kassandra genannt, da er die Bankenkrise vorhergesagt hatte – Chancen ausrechnen.
Das seit Gründungszeiten aus Zürcher Geschnetzeltem mit traditionell zu wenig Sosse bestehenden Abendessen wird von allen Partein mit Sehnsucht erwartet. Hier, in diesem „Staat im Staat“, in dem „Vatikan der Finanzwelt“ kann man endlich Tacheles reden („Nichts von dem, was wir hier sagen, dürfen wir anderswo sagen!“). Hier wird die Weltpolitik gemacht, nicht in den Parlamenten („Demokratie ist Sandkasten für die Armen im Geiste“). Was an diesen Sonntagabenden beschlossen wird, wird denn auch jeweils am nächsten Montagmorgen tröpfchenweise der Welt verkündet („So wie Jesus zu den Jüngern, so spricht Mr. Greeper zu den Märkten!“).
Zwei Dinge gehen bei diesem in Da Vinci-Manier inszenierten Abendmahl aber gründlich schief: Zum einen taucht zum Entsetzen Tronjes der nervige Barbosa (glänzend diabolisch: Vincent Glander) aus Nicht-Clubmitglied Argentinien auf und lässt durchblicken, dass ihm der Turmpapst den Stellvertreterposten angeboten hat. Zum anderen stirbt Mr. Greeper an einem Herzinfakt, sodass Gralshüterin Tronje gezwungen ist, die Leiche am Abendmahl mitessen zu lassen: Zu gross wäre die Gefahr einer Weltwirtschaftskrise. Schliesslich schlüpft sie selbst in dessen Kleider und – der zeitliche Kreis schliesst sich zwar nicht logisch aber dennoch wieder – das berühmte Foto kann endlich gemacht werden.
Die behutsame Inszenierung von Sebastian Schug überlässt dem raffinierten Text die Hauptrolle, was sich bezahlt macht. Hat das Stück im ersten Teil noch einige Längen, nimmt es rasant an Fahrt auf und gipfelt am Ende tatsächlich im Höhepunkt, immer haarscharf am Slapstick vorbei, zu nah an der Wahrheit, um wirklich komisch oder grotesk zu sein. Untermalt wird das Ganze passend durch Retro-Klaviermusik (Klavier: Johnnes Winde) mit Schlagern wie „Wir wollen niemals auseinandergehn“. Als Zuschauer fühlt man sich am Ende nicht nur bestens unterhalten, sondern auch ungewöhnlich gut informiert. Tatsächlich kam mancher Finanzberater im Saal (der BIZ-Chef war freundlicherweise zur Premiere eingeladen worden) bei Sätzen wie „Scheisse nochmal, es gibt kein Risiko! Wissen wir vom Risiko, dass es ein Risiko ist, ist es kein Risiko mehr.“ ordentlich ins Grübeln. Und welche Bank hat man je zugeben hören „Zu unserem Geschäft gehört nicht nur die Krise, unser Geschäft ist die Krise.“? Eben.
Alice Matheson