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BASEL: KINDER DER SONNE von Maxim Gorki– Starkes Schauspielertheater. Premiere

01.11.2015 | Theater

BASEL: KINDER DER SONNE – Starkes Schauspielertheater

Theater Basel – Grosse Bühne – Gorkis „KINDER DER SONNE“ – Premiere am 30.10.15

kin
Pia Händler, Lisa Stiegler, Nicola Kirsch, Ingo Tomi, Foto: Sandra Then

Die junge Österreicherin Nora Schlocker, seit dieser Spielzeit Hausregisseurin am Theater Basel, zeigt mit Maxim Gorkis Schauspiel „Kinder der Sonne“ ein intensives Ensemblestück, das den Beteiligten körperlich und energetisch viel abverlangt. Die 15 Schauspielerinnen und Schauspieler und drei Musiker sind von Anfang bis Ende auf der Bühne. Wenn sie gerade nicht ihre Szene haben, sitzen sie an der aus mehreren Biertischen aneinandergereihten Tafel, trinken, rauchen und schauen ihren Kolleginnen und Kollegen beim Spielen zu, ohne jedoch aus ihren Rollen zu fallen. Die gerade nicht aktiven Spielerinnen und Spieler fungieren dergestalt szenisch als Spiegel des Publikums.

Es ist bemerkenswert, wie Schlocker die einzelnen Charaktere bis in die kleinsten Nebenrollen minutiös herausarbeitet. Ohne Ausnahme wird hier Theater auf sehr hohem schauspielerischem Niveau geboten. Einfach grandios, wie sich Katja Jung als Melanija vom reichen Dummchen mit hautengem Blazer, Leggins und hohen Hacken (liebevoll zusammengestellte Kostüme: Caroline Rössle Harper) zur innerlich zerrissenen, beinahe mitleidsvollen Witwe wandelt, als ihr Liebesgeständnis an den Wissenschaftler Pawel Fjodorowitsch Protassow (Ingo Tomi) keinen Anklang findet.

Das abstrakte Einheitsbühnenbild von Bernhard Kleber – Querschnitt durch einen Kuppelraum – gibt den Schauspielerinnen und Schauspielern den nötigen Freiraum, um sich auszutoben. In diesem weissen, sterilen und geschlossenen Raum sind die Figuren von der Aussenwelt abgeschottet: Während drinnen im behüteten Zuhause die russische Intelligenzija über Wissenschaft und Kunst philosophiert, braut sich draussen eine Revolution des von der Choleraepidemie heimgesuchten gemeinen Volkes gegen das zaristische Regime zusammen. Doch als in der Schlussszene Nasar Awdejewitsch (Thomas Reisinger) von den politischen Unruhen berichtet und Boris Nikolajewitsch Tscherpurnoj (Urs Peter Halter) Selbstmord begeht, bricht die ‚heile Welt‘ auseinander: Die Wand des Kuppelraumes wird von aussen zerschlagen und Lisa (Lisa Stiegler), die dem Weltschmerz verfallen ist, schmiert rote Farbe an die Wand, was den Petersburger Blutsonntag (1905) emblematisch heraufbeschwört – das eindrücklichste Bild des Abends.

Eine der grossen Stärken der Inszenierung zeichnet sich dadurch aus, dass Schlocker zwischen Komik und Tragik changiert. Die von Gorki ursprünglich gewählte Bezeichnung „Tragikomödie“ spitzt die Regisseurin in ihrer Lesart mit viel Situationskomik zu. Gorkis sarkastisch-schwarzer Humor kommt in seiner ganzen Bandbreite zum Tragen. Im einen Moment muss man herzhaft über einen Slapstick lachen, während einem im nächsten Moment das Lachen im Hals stecken bleibt.

Als einzige Kritikpunkte sind zu nennen: Erstens war akustisch längst nicht alles verständlich, vor allem wenn mit dem Rücken zum Publikum gesprochen wurde. Insbesondere Thiemo Strutzenberger als Dmitrij Sergejewitsch Wagin und Ruth C. Oswalt als Antonowna haben zum Teil extrem genuschelt. Zweitens war der Abend mit über zwei Stunden reiner Spieldauer ohne Pause einfach zu lang, um dem Stück von Anfang bis Ende die volle Aufmerksamkeit schenken zu können. Die Konzentration im Zuschauerraum nahm nach 90 Minuten merklich ab. Das Bühnengeschehen wirkte zunehmend abgestumpfter. Gorkis Schauspiel ist ein derart komplexes Werk, dem eine Pause (oder zumindest einige Kürzungen) nicht geschadet hätten. Das Publikum würdigte die hervorragende Ensembleleistung dennoch mit grossem Applaus und das Regieteam mit Bravorufen.

Carmen Stocker

 

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