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BASEL: ELEKTRA. Derniere

Fulminanter Abgesang

24.04.2018 | Oper

Basel:  Theater Basel, Grosse Bühne – „Elektra“ – Rachel Nicholls, Ursula Hesse von den Steinen, Katrin Kapplusch, Rolf Romei, Michael Kupfer-Radecky, Mona Somm – Sinfonieorchester Basel – Erik Nielsen, Leitung    – Dernière: 23.04.18

 Fulminanter Abgesang

Vor enttäuschend mässig besetzten Zuschauerrängen nimmt David Böschs aufregende Inszenierung von Richard Strauss’ Meisterwerk „Elektra“ Abschied vom Basler Opernpublikum. Die Dernière gerät zum (blut)rauschenden Opernfest erster Güte. Den Aufführenden, dem Sinfonieorchester Basel und am Schluss dem Chor des Theater Basel (Leitung: Michael Clark) aus dem Off gelingt unter dem leidenschaftlichen, aber dennoch differenzierten und äusserst exakten Dirigat von Erik Nielsen mit der letzten Aufführung sowohl szenisch als auch musikalisch eine Sternstunde.

In der blutverschmierten Schlachthofhalle (grossartige Bühne: Patrick Bannwart, Maria Wolgast), wohin auch die Plüschtiere, die Kindermöbel und Orests Schaukelpferd verfrachtet wurden, vegetiert Elektra vor sich hin und wartet – wartet auf die Rückkehr ihres Bruders Orest oder auf die eigene Schlachtung. Zu ihrer Schwester Chrysothemis, die verzweifelt Halt bei ihr sucht, hat Elektra so gut wie keinen Bezug mehr. Kurz flackert zwischen den beiden so etwas wie schwesterliche Zweisamkeit auf – trügerisch, denn als Chrysothemis vor Elektra und deren Entschluss, mit ihr zusammen die Mutter und Aegisth selber ins Jenseits zu befördern, die Flucht ergreift, vollzieht die Titelheldin mit ihrem Fluch den endgültigen Bruch zu ihrer Schwester. Familiäres „Glück“ kommt für Elektra mit der Rückkehr Orests wieder auf. Sie erkennt ihn erst, als Orest ein kleines Ritual aus Kindheitstagen, das nur die beiden kennen können, andeutet. Welche verzweifelte Freude beim Wiedersehen der beiden Geschwister, welche sich wohl auch in Kindheitstagen besonders nahe gestanden sein müssen! Desto schlimmer für  Elektra, wenn sich Orest nach „vollbrachter Tat“ das Leben nimmt. Eigentlich ist Elektra nun schlimmer dran, als am Anfang: Allein, weh, ganz allein  … – und nun auch noch Orest: hinabgescheucht in seine kalten Klüfte …

Rachel Nicholls darf sich mit Recht und Fug zu den besten Interpretinnen der „Elektra“ zählen. Ihre jugendlich-dramatisch timbrierte Stimme verleiht der Rolle zusätzliche Intensität und innere Tiefe. Da ist nicht einfach eine rachsüchtige Furie auf der Bühne, sondern eine junge Frau, der im Leben alles Schlimme, was es für ein Mädchen zu erleben gibt – und noch mehr – widerfahren ist. Rachel Nicholls gestaltet jede Emotion der Partie und bewegt sich gekonnt auf dem schmalen Grad zwischen Wut, Trauer, Liebe, Hass und Wahnsinn. Die musikalische Power, welche die Sängerin im „Agamemnon-Monolog“ vorlegt, lässt den ganzen Abend nicht nach. Rachel Nicholls singt mit grosser Sensibilität und führt ihre Stimme ohne die kleinste Einbusse stets gekonnt kontrolliert durch sämtliche Höhen, Tiefen und musikalischen Emotionen der Partie. Eine Meisterleistung!

Katrin Kapplusch, welche an diesem Abend für Paullina Linnosaar einspringt, begeistert als recht selbstbewusste Chrysothemis. Sie gefällt mit klarer Stimme, welche den herrlichen Klangwogen aus dem Orchestergraben mühelos standhält, und mit ausgezeichneter Diktion. Sie fügt sich auch mühelos in David Böschs anspruchsvolle Personenregie ein.

Ursula Hesse von den Steinen liefert auch an der Dernière eine souveräne, schaurig-schöne Klytämnestra und lässt sich mit viel Sanges- und Spielfreude auf das Katz-und-Mausspiel mit ihrer Tochter ein. Musikalisch baut die Sängerin enorme Spannung auf. Ihre bedrohlichen Piani, welche zu gefährlichen Forti anschwellen, sowie die Ausbrüche sind atemberaubend. Durch ihr fantastisches Spiel verleiht Ursula Hesse von den Steinen ihrer Rolle zusätzliche, schaurige Intensität.

Ruhig, unterschwellig bedrohlich erscheint Michael Kupfer-Radecky als Orest auf der Szene. Seine dunkel timbrierte Stimme strahlt sowohl Bedrohung, als auch Ruhe und Bedachtsamkeit aus. Leidenschaftlich stürmisch, ja liebevoll, lässt Kupfer-Radecky seine Stimme erstrahlen, wenn Orest Elektra erkennt, kämpferisch entschlossen ertönen seine „Ich werde es tun!“

Spannend ist, wie die Regie den „feigen Meuchelmörder, der Heldentaten nur im Bett vollführt“, sieht: Eigentlich ist der Aegisth ja gar nicht so unsympathisch, sondern eher ein jugendlicher Tollpatsch, der sogar fast in Versuchung gerät, Elektra zu vernaschen – kein Wunder, wenn man bedenkt, in welchem Aufzug seine eigentliche Angetraute durchs Leben wandelt. Fast – aber wirklich nur fast – beschleicht den Zuschauer etwas – aber wirklich nur etwas – Mitleid, wenn Aegisth ermordet wird. Verzweifelt wirft er einen um Hilfe flehenden Blick zu Elektra, welche ihn offen verhöhnt.

Diese etwas andere Sichtweise gelingt dank der ausgezeichneten Personenregie und deren hervorragenden Umsetzung durch Rolf Romei. Der Schweizer Sänger füllt die Rolle des Aegisth sowohl stimmlich als auch in der Darstellung voll aus. Aegisth fordert dem Tenor körperlich einiges ab. Der sportliche Rolf Romei meistert dies mühelos und bringt parallel dazu seine sehr gut disponierte Stimme auch in dieser kurzen Partie zum Glänzen.

Einen musikalisch sehr guten Eindruck hinterlassen auch Sofia Pavone, Iris Marie Sojer, Kristina Stanek, Sarah Brady und Hailey Clark als Mägde.

Mit Mona Somm, welche Partien wie beispielsweise Brünnhilde, Sieglinde und auch Elektra im Repertoire führt, ist die Partie der Aufseherin äusserst prominent und sowohl musikalisch als auch darstellerisch ausgezeichnet besetzt. Mit viel boshaftem Schalk schikaniert sie lustvoll die Mägde und gibt mit kräftiger klarer Stimme den Tarif durch.

Als Pfleger des Orest beeindruckt Domen Krizaj (Mitglied des Opernstudios OperAvenir) mit einer äusserst sauberen, kräftigen Stimme. Ein Nachwuchskünstler, dessen Name, man sich merken sollte. Mathew Swensen (Mitglied des Opernstudios OperAvenir) bekundet als junger Diener Mühe sich stimmlich durchzusetzen und neigt dazu zu forcieren. Evelyn Meier (Vertraute) und Hendrik J. Köhler (alter Diener) meistern ihre Partien zuverlässig.

Mit lange anhaltendem, jubelndem Applaus bedankt sich das Publikum bei allen Aufführenden für diesen fordernden, anspruchsvollen, grossartigen Opernabend.

 Michael Hug

 

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