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BASEL: CHOWANSCHTSCHINA – Eindrücklicher Saisonstart, der unter die Haut geht

23.10.2015 | Allgemein, Oper

BASEL: CHOWANSCHTSCHINA – Eindrücklicher Saisonstart, der unter die Haut geht

Theater Basel – Grosse Bühne – Mussorgskis „CHOWANSCHTSCHINA“ – Pr. 22.10.2015

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Pavel Yankovsky (Schaklowity), Chor und Extrachor des Theater Basel, Foto: Simon Hallström

Trotz der Verzögerung der Renovierungsarbeiten präsentiert sich das Theater Basel pünktlich zum Saisonauftakt – zumindest vor den Kulissen – in neuem Glanz und Komfort. Letzteres kommt dem Publikum insbesondere bei den bequemeren Sitzplätzen im Zuschauerraum und bei den ausgebauten, um die doppelte Anzahl erhöhten Damentoiletten zugute. Man spürt förmlich, wie das Publikum im voll besetzten Saal die erste Produktion gespannt und neugierig erwartet, mit der „unser Theater“ (Andreas Beck) die Spielzeit 2015/2016 eröffnet.

Mit der russischen Oper „Chowanschtschina“ von Modest Mussorgski bringt das Theater Basel ein monumentales Werk mit anspruchsvollen Solopartien, grossem Orchesterapparat und vor allem fast omnipräsentem Chor auf die Bühne, das eigentlich die Dimensionen eines Stadttheaters sprengt. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass das Stück an anderen Häusern selten auf den Spielplan gesetzt wird. Doch das Theater Basel meistert diese Herausforderung mit Bravour! Das Grossaufgebot wird sogar noch um zwei Hunde erweitert, die für ihren tadellosen Auftritt mit einem Leckerli belohnt werden.

Mussorgski hinterliess das Werk als Fragment. Gespielt wird die Schostakowitsch-Fassung mit dem Ende von Strawinsky. Die Oper schildert episodenhaft die politischen und religiösen Unruhen im Russland zur Zeit Zar Peter I. im ausgehenden 17. Jahrhundert. Dass die darin verhandelten Themen um Macht und Ohnmacht, Intrige und Rache, Krieg und Religion jedoch zeitlos sind, vermittelt uns das Regieteam in einer eindrücklichen Inszenierung, die unter die Haut geht. Es siedelt die düstere Oper im gefühlskalten, winterlichen Russland an. Bis auf den zweiten spielen alle Akte an einem Bahnhof. Wie das russische Volk zwischen Koffern und Kinderwagen gedrängt im Wartesaal der Bahnhofshalle (auf eine Veränderung, eine bessere Zukunft?) wartet, lässt durchaus Assoziationen zur gegenwärtigen Flüchtlingsproblematik zu. Klar macht sich bei diesem Anblick ein Unbehagen, ein Gefühl der Melancholie und der Ausweglosigkeit breit. Aber so ganz leuchtet das Konzept des weissrussischen Bühnenbildners Zinovy Margolin nicht ein. Zeitlos wirken auch die aufwändigen Kostüme von Olga Shaishmelashvili, die alte und neue Elemente gekonnt miteinander kombiniert.

Die relativ langen Umbaupausen unterstreichen zwar den Tableau-Charakter des Stückes, unterbrechen jedoch den Spannungsbogen, was auch durch die Videos in Schwarzweiss (Yury Yarushnikov) mit Eisenbahnschienen während der Umbauten nicht verhindert werden kann. Stimmungsvoll sind dagegen die Projektionen der Morgendämmerungen aus verschiedenen Gegenden Russlands, die die vom Sinfonieorchester Basel unter der Leitung des ukrainischen Dirigenten Kirill Karabits traumhaft schön gespielte Ouvertüre bebildern.

Ein grosses Lob gebührt dem jungen, russischen Regisseur Vasily Barkhatov für seine hervorragende Personenregie. Selbst in den Massenszenen erhält jede Figur ihr individuelles Profil. Indem Barkhatov das Liebes- und Eifersuchtsdrama zwischen Marfa, Emma und Andrei Chowanski ausbaut, wirkt er der sich nicht linear entfalteten Handlung entgegen und intensiviert damit die Spannung.

Jordanka Milkova gibt (mit schönem, etwas gedämpften Mezzosopran) im schwarzen Pelzmantel die verführerische, hinterhältige Intrigantin Marfa, die ihre Nebenbuhlerin Emma (unschuldig in Weiss gekleidet: Betsy Horne) zunächst mit einem Lied in den Schlaf wiegt, bevor sie diese eiskalt mit dem Kissen erstickt. Sie nimmt Rache an Andrei Chowanski – grandios interpretiert von Rolf Romei –, weil dieser sie verlassen hat. Andreis Vater, Iwan Chowanski, der auch um die Gunst der hübschen Emma wirbt, wird vom russischen Bass Vladimir Matorin passend unsympathisch, versoffen und ohne Manieren gezeichnet. Sein grob-lallender, abgedunkelter Bass hätte etwas geführter sein können. Nuancenreich dagegen gestaltet der Tenor Dmitry Golovnin die Rolle des Golizyn, der zusammen mit Iwan Chowanski einen Plan schmieden will, um den Zaren vom Thron zu stürzen. Karl-Heinz Brandt (Schreiber) singt, trotz indisponiert angekündigt, souverän. Gleiches gilt für Pavel Yankovsky (Schaklowity), der sich ebenfalls krankheitsbedingt ansagen liess. Seine Arie nach der Pause zu Beginn des zweiten Teils, die er emotional und klangschön interpretiert, gerinnt zu einem musikalischen Höhepunkt. Die Tasmanierin Bryony Dwyer, Mitglied des Opernstudios OperAvenir, überzeugt mit kraftvollem Sopran als Susanna. Zu Recht den grössten Applaus erntet Dmitry Ulyanov als Dossifei, Oberhaupt der Altgläubigen, mit seinem markanten, stimmgewaltigen und durchdringenden Bass, dem man ohne Weiteres noch weitere dreieinhalb Stunden zugehört hätte.
Exzellent stemmen Chor und Extrachor des Theater Basel (Chorleitung: Henryk Polus) die immensen Chorpassagen. Im stillen – von Igor Strawinsky komponierten – Schlusschor, der im kollektiven Selbstmord endet, kommt Gänsehautgefühl auf.

Fazit: Das Theater Basel zeigt eine sehenswerte und musikalisch hochstehende Produktion, die Lust auf mehr macht – ein gelungener Auftakt zur neuen Intendanz von Andreas Beck!

Carmen Stocker

 

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