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BADEN-BADEN: MANON LESCAUT- Mehr Luxus als Leidenschaft. Premiere

13.04.2014 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

Festspiele Baden-Baden: „MANON LESCAUT“ 12.4.2014 (Premiere)mehr Luxus als Leidenschaft

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Trotz Untreue wieder verfallen: Eva Maria Westbroek (Manon) und Massimo Giordano (Des Grieux)   Copyright: Jochen Klenk

Wie schon in seiner vor wenigen Wochen in den Kinos ausgestrahlten „Werther“-Inszenierung an der New Yorker Met hat Sir Richard Eyre  bei dem nun von Amerikas führender Bühne und den Festspielen Baden-Baden gemeinsam produzierten ersten Welterfolg Giacomo Puccinis von 1893 auf eine klare Auslegung der Handlung gesetzt – gekennzeichnet durch eine in liebevolle Details aufgeschlüsselte Personenregie, die in dem wohl den beiden Bühnen und ihren Publikums-Erwartungen entsprechend opulenten, aber nicht erstickend prunkvollen Rahmen gut zur Geltung kommt. Dazu trägt auch die nach Meinung des Regisseurs sinnvolle, weil moralisch direktere, nahe stehendere und stilistisch tangierbare Verlegung der Handlung aus dem 18. Jahrhundert in die 30er und 40er Jahre des 20. Jahrhunderts bei. Die bedauerlicherweise zwei Umbaupausen erforderlich machenden Bühnenbilder von Rob Howell sind zwar von bühnenhohen monumentalen Häuserfassaden, Fenstern, die im Kreis aufwärts führende Rampe zum zentral lagernden Schiff sowie perspektivisch angelegte Treppenverläufe mit hohen Stufen, die in der letzten Szene gebrochen und auf die Seite gekippt die Unwegsamkeit der amerikanischen Einöde symbolisiert, bestimmt, doch die Kostüme von Fotini Dimou zeichnen sich in der an Filmdiven der damaligen Zeit erinnernden Glitzerroben sowie ansonsten gediegenen Gewandungen durch eine angenehme Dezenz aus. Peter Mumford sorgte für eine atmosphärische Ausleuchtung der Szenen, wobei die Madrigal- und Tanzeinlage im zweiten Akt ins Scheinwerferlicht früher Filmaufnahmen gehüllt werden.

Die bereits erwähnten Details der Regie sind durch viele kleine Gesten, eine ohne Aktionismus auskommende Lebendigkeit sowie den Verzicht auf pathetische Ausuferungen gekennzeichnet. Zwischen der Volksmenge (der in verhaltenem wie vollmundigem Einsatz ausgewogen mitmischende Philharmonia Chor Wien) und den Solisten entwickelte sich vor allem bei der Einschiffung der Deportierten eine spannende Interaktion. In den ersten beiden Akten herrschte allerdings noch eine gewisse Gepflegtheit im Ablauf, als wollten musikalische Verlautbarung und spielerische Bewegung parallele Wege gehen anstatt zusammenzufinden. Leidenschaft, bei einem von so viel Liebe und Sex bestimmten Stoff wie in dem von mehreren Autoren nach Abbé Prévosts Roman geschaffenen Libretto von zentraler Bedeutung, wollte in den ersten beiden Akten nicht so richtig aufflammen. Den Grundstein dafür mochte auch Sir Simon Rattle gelegt haben, der mit den Berliner Philharmonikern Puccinis Partitur mit einer beinahe verschwenderisch luxuriösen Farbpalette zur Entfaltung bringt, die Streicher einen satt warmen, für dieses Orchester bekannt dunklen Teppich legen lässt, den Holzbläsern einen delikaten, fast impressionistisch anmutenden Duft und dem Blech stets den Glanz in einer vertretbaren Lautstärke entlockt, und ob all dieser klanglichen Finessen den Puls des Herzens etwas in den Hintergrund gerückt hat. Er nimmt Rücksicht auf die vokalen Bedürfnisse, lässt aber den großen Bogen vermissen. Erst wenn sich das Schicksal Manons entschieden hat und Des Grieux mit allen Mitteln um sie kämpft, lösen sich die Fesseln einer bis dahin korrekten und zweifellos erstklassigen Einstudierung. Diesen langen Anlauf benötigten offensichtlich auch die beiden Hauptakteure – aus zunächst braven Opernsängern wurden doch noch gesamtheitlich überzeugende Künstler. Eva Maria Westbroek entwickelte sich dabei von der kühlen Schönheit zu einer an ihrem Übermaß an Verführbarkeit und ihrer Unentschiedenheit zwischen Wohlstand und Liebe zugrunde gehenden Manon. Ihr üppiger, im weitläufigen Festspielhaus problemlos tragender Sopran ist hinreichend dynamisch, wenn auch die für Puccini so wichtige blühende Höhenentfaltung nicht ganz ihre Sache ist, zumal die Forte-Spitzen nicht mehr die Leichtigkeit früherer Jahre zeigen und z.T. etwas erkämpfte Einzeltöne bleiben. In der Summe ist sie jedoch eine ganz in ihrer Rolle aufgehende und vokal wahrhaftige Besetzung. Bei Massimo Giordano war dies anfangs zu bezweifeln, doch auch er kam erst angesichts der Verhaftung Manons so richtig in Fahrt. Obwohl genuin kein sonderlich begabter Schauspieler, verwandelte er sich mit der emotionalen Verausgabung seiner Stimme in einen zuletzt gelösten Darsteller. Im Gegensatz zu den in letzter Zeit erfolgten Meldungen über technische Mängel und seinen lirico spinto überfordernde Partien kann hier erfreulicherweise von einer sehr sicheren und keineswegs problematischen Bewältigung der doch dramatisch schon sehr fordernden Rolle des Des Grieux berichtet werden. Zuerst noch etwas zaghaft und ohne sonderliches Animo die Lyrismen und Aufschwünge der ersten beiden Soli, dann von spürbarer Getriebenheit des verfallenen Liebenden der Kampf um die Rettung Manons mit gut erarbeiteten und in die Linien eingebundenen Höhenausbrüchen und durchweg reibungsloser Führung seines von einer interessanten Hell-Dunkel-Mischung geprägten Tenor-Timbres.

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Opulente Szene am Hafen. Foto: Monika Rittershaus

Mehr noch als der in der Erscheinung eher gemütliche und in der Partie von Manons Bruder Lescaut baritonal vor allem mit einer sehr stabilen Mittellage aufhorchen lassende Lester Lynch erwies sich der schon seit einigen Jahren das Stuttgarter Opern-Ensemble zierende chinesische Bassist Liang Li mit sämig durchgebildeter, in allen Lagen edler und dabei hinter der Schönheit des Vortrags auch die heuchlerische Seite des reichen Geronte De Ravoir expressiv spürbar machender Stimme als absolut festspielwürdige Besetzung.

Auch die Auswahl in den kleinen Rollen hatte überdurchschnittlich gutes Niveau: Bogdan Mihai als in Gestalt und in der (wenn auch für große Sääle etwas schmal bemessenen) tenoralen Entfaltung ansprechender Student Edmondo, Kresimir Spicer als prägnant formulierender Balletmeister, Arthur Espiritu als mit klangvollem Tenor kurz aufhorchen lassender Straßenfeger (im Original der Lampenanzünder), Nachwuchstalent Johannes Kammler als Sergeant, Reinhard Dorn als solider Wirt und Kapitän sowie Magdalena Kozená als (Dirigenten bedingt naheliegende) Luxusbesetzung des Sängers.

In der Gesamtheit hätte etwas weniger Verschwendung zugunsten einer offensiveren und glutvolleren Wiedergabe zu einer durchgängig packenderen Aufführung verholfen. Doch wie gesagt: wenn sich Manon und Des Grieux hoffnungslos durch die Einöde schleppen und die im Hintergrund noch stehen gebliebenen, aber zu Bruch gegangenen Fenster und Fassaden an das einstige Leben erinnern, und sich Des Grieux nicht effekthascherisch über die tote Manon wirft, sondern total verzweifelt neben ihr verharrt und sein Gesicht mit den Händen bedeckt, konnte so manches Zuschauer-Auge nicht trocken bleiben.                        

Udo Klebes

 

 

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