Französische Opéra bouffe in Augsburg: „L’étoile“ von Emmanuel Chabrier (Premiere: 2. 12. 2012)
König Ouf I. (Eric Laporte) mit seinem Hofstaat (Foto: A.T. Schaefer)
Im Theater Augsburg hatte am 2. 12. 2012 die Opéra bouffe „L’étoile“ von Emmanuel Chabrier (1841 – 1894) eine erfolgreiche Premiere. Das komödiantische Werk, das in Frankreich zu den Operettenklassikern des 19. Jahrhunderts zählt, wurde 1877 in Paris uraufgeführt und hatte bereits ein Jahr später in Berlin seine deutsche Erstaufführung. Es gilt als Vorläufer von Ravels L’heure espagnol und Poulencs Les mamelles de Tirèsias.
Die Handlung des dreiaktigen Stücks, dessen Libretto Eugène Leterrier und Albert Guillaume Florent Vanloo verfassten, in Kurzfassung: Zum Geburtstag von König Ouf I. darf sich das Volk alljährlich auf eine besondere Attraktion freuen – die Hinrichtung eines Untertanen. Schnell ist mit dem Straßenhändler Lazuli ein geeigneter Kandidat gefunden, wären da nicht die Sterne, die das Schicksal des Königs eindeutig mit dem von Lazuli verknüpfen: Das Leben König Oufs werde, so der Hofastrologe Sirco, eine Stunde nach dem des jungen Mannes enden. Angesichts dieser Information beginnt Ouf ein vitales Interesse am Wohlergehen seines Untertanen zu entwickeln und koppelt – diesmal ohne Beteiligung der Sterne – per Dekret das Schicksal seines Sterndeuters an sein eigenes Leben. Dieser, so Ouf, soll eine Viertelstunde nach ihm ebenfalls den Tod finden. Es beginnt eine wilde Jagd um das Wohlergehen Lazulis, der gar nicht weiß, wie ihm geschieht. Als er sich auch noch in eine Prinzessin verliebt, die eigentlich die Frau des Königs werden sollte, beginnen die Dinge kompliziert zu werden. Lazuli und die Prinzessin fliehen, Fürst Hérisson lässt auf die beiden schießen – die Prinzessin überlebt und schildert den Tod Luzulis. Doch er lebt und hält sich versteckt. Als er gefunden wird, will er sich töten, wenn er die Prinzessin Laoula nicht zur Frau erhält. König Ouf gibt nach und macht Lazuli zum Thronerben.
Aron Stiehl inszenierte Chabriers doppelbödiges ständig zwischen Ironie und Persiflage, Grausamkeit und schwarzem Humor wechselndes Werk, das in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln und Dialogen gezeigt wurde, mit Esprit und Operettenzauber, ohne in Klamauk zu verfallen (mit Ausnahme des zweiten Akts, bei dem auch die Dialoge zu lang ausfielen). Die Inszenierung war mit vielen originellen Einfällen gespickt und gab den Darstellern, die er des Öfteren aus dem Zuschauerraum auftreten ließ, immer wieder Gelegenheit zu Situationskomik.
Im anschaulichen, von einem Sternenhimmel dominierten Bühnenbild von Rainer Sellmaier spiegelt sich auch der schwarze Humor des Stücks in Form eines thronhaften Folterstuhls zum Pfählen – vom König als „das genussreichste Marterinstrument“ gepriesen – und zweier Särge wider, die für den König und den Hofastrologen reserviert waren und auch genutzt wurden. Die von Nathan Vaknin entworfenen Kostüme waren großteils chic und strahlten französische Elégance aus.
Als grausamer, schießwütiger König Ouf I. – wer ihm widersprach, wurde erschossen – wahrte der kanadische Tenor Eric Laporte jede Chance, mit dem Publikum zu kommunizieren. Mit mächtiger Stimme monierte er, dass es ihm als König zu wenig Reverenz erweise und es sich bei seinen Auftritten erheben sollte, und probte mit den Zuschauern, bis es klappte. Seine Versuche, das gleiche bei seinen „Untertanen“ im Orchestergraben zu erreichen, schlugen allerdings fehl. Vielleicht mit ein Grund für ihn, mit dem letzten Ton der Musik die Dirigentin zu erschießen…
In der Hosenrolle des Lazuli konnte Stephanie Hampl darstellerisch besser gefallen als stimmlich, da ihr klangschöner Mezzosopran zu wenig durchschlagskräftig war. Dennoch zählte Lazulis Romanze „O petite étoile“ („O kleiner Stern“) zu den Höhepunkten des Abends. Als Prinzessin Laoula begeisterte Cathrin Lange durch ihr bezauberndes, couragiertes Spiel und ihren hellen, glasklar klingenden Sopran. Den Hofastrologen Siroco, dem die Ehre zuteil werden sollte, seinem Herrn eine Viertelstunde nach dessen Tod ins Grab zu folgen, gab der russische Bass Vladislav Solodyagin mit mächtiger Stimme und humorvollem Augenzwinkern.
Sehr komödiantisch agierte die südafrikanische Sopranistin Sally du Randt, die in ihrer Rolle als Aloés, der Ehefrau von Fürst Hérisson de Porc-Épic, jede Gelegenheit nutzte, ihrem Mann Hörner aufzusetzen. Sie flirtete nicht nur mit Tapioca, dem Sekretär ihres Gatten, sondern auch mit Lazuli und dem König, den sie mit ihrem Charme so lange becircte, bis er auch ihren Ehemann erschoss. Eine weitere Pointe dieser Inszenierung. Den Fürsten spielte der italienische Bariton Giulio Alvise Caselli, der leider zu stark outrierte und die Dialoge mehr schrie als deklamierte. Als sein Sekretär Tapioca wieselte der australische Tenor Christopher Busietta stets dienstbeflissen über die Bühne, blieb aber dennoch ein wenig farblos.
Operettenhaft agierte der mit guten Stimmen ausgestattete Chor (Einstudierung: Katsiaryna Ihnatsyeva-Cadek). Er hatte seine stärkste Szene, als die attraktiven Damen des Chors auf köstlich komödiantische Weise vereint Lazuli erotisch bedrängten (gut choreographiert von Annika Nitsch). Die Augsburger Philharmoniker wurden von Carolin Nordmeyer sehr umsichtig und sängerfreundlich geleitet. Sie nahm die Lautstärke des Orchesters stets zurück, wenn die Solisten vom hinteren Bühnenbereich oder verkehrt zum Publikum singen mussten. Auch spielte die Dirigentin bei den diversen, an Pointen reichen „Gags“ des Königsdarstellers humorvoll mit.
Das Premierenpublikum unterhielt sich bei der fast drei Stunden dauernden Aufführung blendend, sparte auch nicht mit Szenenbeifall und feierte am Schluss alle Mitwirkenden und das Regieteam mit nicht enden wollendem Applaus. Jubel gab es für die Darsteller des Königs und der Prinzessin sowie für die Dirigentin!
Udo Pacolt, Wien – München