CD-Besprechung: Audite: Das Quartetto di Cremona spielt Beethovens Streichquartette wie einst das Alban Berg Quartett
Das soeben veröffentlichte Vol. IV wartet mit Referenzeinspielungen der Quartette Op. 18 Nr. 1 und Op. 131 Nr. 14 auf
„Die Hörkunst ist eine hohe Kunst. Hörst Du den Unterschied?“ Garibaldi in Thomas Bernhards Die Macht der Gewohnheit
Sie kennen das. Man legt eine CD auf und in den ersten Sekunden schon ist man gefangen. Alles ist da: Spannung, Verve, Musikantentum, Energie, Technik gepaart mit Leidenschaft, Klangrede, Tiefe, Mut zur Interpretation, höchste Dynamik, Ausdruck vor purer Schönheit, Unverwechselbarkeit. So ist es mir ergangen mit den ersten Takten des Allegro con brio des f-dur Quartetts, des die Beethovenschen Streichquartette eröffnenden Meisterwerks in der neuen Interpretation des Quartetto die Cremona. Der alte Fuchs Beethoven wusste schon, warum er dieses flink opulente Quartett zur Nummer eins der von Fürst Franz Joseph von Lobkowitz in Auftrag gegebenen Sechserserie erkoren hatte, obwohl es nicht als erstes Werk entstand.
Das Quartetto die Cremona hat seine Lektion in Sachen Beethoven von Hatto Beyerle vom Alban Berg Quartett merklich gut gelernt und vereint seine punktgenaue Interpretation mit italienischen Einflüssen des Quartetto Italiano (Piero Farulli). Wie im Begleitheft treffend vermerkt, ist das Ergebnis ein instinktives Musikertum und ein leidenschaftlich-emotionaler Interpretationsansatz. Ideal für Beethoven. Hat der Meister aus Bonn am Anfang seiner Quartette noch Romantik pur und komplexe Herzeige-Kontrapunktik“ gesucht, so sollte sich das im Laufe der Zeit zu einem profunden und magischen Altersstil weiterentwickeln. Beim langsamen Satz des Op. 18 Nr. 1 findet sich in einer Kopie für seinen Freund Amenda noch die Anmerkung des Komponisten „Er kommt zum Grab, Verzweiflung, er töte sich, die letzten Seufzer“. Der Widmungsträger wollte darin schon Programmmusik über die Gruftsezene aus Shakespeares Romeo und Julia sehen, die hochdramatisch mit dem Selbstmord des Protagonisten endet.
Ein Zeitsprung: 22 Jahre später komponiert Beethoven sein Op. 131 mit einer Fuge am des Adagio ma non troppo e molto espressivo, dann folgen sieben Abschnitte von unterschiedlicher Textur in einer geheimnisvollen Zeitreise von Archaik bis zu kosmischen Visionen ohne Pause. Geschrieben wurde das Werk für den Wiener Geiger Schuppanzigh. Ohne ihn gäbe es diese Musik nicht, die von den Zeitgenossen als unspielbar, vor allem aber als unhörbar eingestuft wurde. Die vier Herren aus Cremona erweisen mit ihrer Neueinspielung Reverenz an ihre alten Kollegen. Cristiano Gualco gelingt auf seiner Amati aus 1640 genau dieser expressive gesangliche Ton, dessen unter die Haut gehende Schönheit auch den späten Beethoven wunderbar hörbar macht. Nicht minder beeindruckend formen Paolo Andreoli am Pult der zweiten Violine, Simone Gramaglia (Viola) und Giovanni Scaglione (Cello) mit dem Primgeiger Gualco ein intensiv aufeinander eingespieltes Ensemble, das beweist, dass dieses außerordentliche Werk sehr wohl spielbar ist. Die musikalischen Bälle werden einander traumwandlerisch sicher zugeworfen, das eruptiv spontane Musizieren ist voller Innenspannung, Aufbäumen und Hinsinken. Meisterlich! Hörst Du den Unterschied? Richard Wagner deutete die schwermütige Stimmung des cis-moll Quartetts als „Erwachen am Morgen des Tages, der in seinem Lauf nicht einen Wunsch erfüllen soll, nicht einen. Doch zugleich ist es ein Bußgebet, eine Berathung mit Gott im Glauben an das ewige Gute.“ Und so drücke ich am Ende des CD wieder auf Play, das ewig Gute dieser neuen Aufnahme will ich mir nochmals gönnen.
Dr. Ingobert Waltenberger