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ATHEN/ Onassis Cultural Centre: THE SONG OF ROLAND von Wael Shawky- The Arabic Version

Onassis Cultural Centre, Athen
The Song of Roland: The Arabic Version
Besuchte Vorstellung am 28. Dezember 2017

Kriegsgesänge zwischen Ost und West

Der in Alexandria geborene Künstler Wael Shawky ist ein Vermittler zwischen westlicher und östlicher (arabischer) Kultur, einer, der den Kulturbegegnungen der Vergangenheit neue, erfrischende Perspektiven abgewinnt. Er arbeitet dabei in unterschiedlichen Medien, wie Film, Zeichnung, Fotografie und Performance. In den letzten fünfzehn Jahren hat er an wichtigen, internationalen Grossausstellungen teilgenommen – etwa an der Documenta 13 (2012) oder der Sharjah Biennale (2013). Renommierte Institutionen widmeten ihm Einzelausstellungen. Im Begleitprogramm zur Athener Aufführungsserie wird Shawkys Filmtrilogie „Cabaret Crusades“ im Nationalen Museum für zeitgenössische Kunst gezeigt. Die drei Filme „The Horror Show File“, „The Path to Cairo“ und „The Secrets of Karbala“ basieren auf Amine Maalouf’s Buch „The Crusades through Arab Eyes“. In seinem Filmwerk, das man mit Vorteil vor dem Besuch der Aufführung sieht, erzählt Wael Shawky mit in gezeichnete Stadtsilhouetten gesetzten Marionetten die Geschichte der Kreuzzüge aus arabischer Sicht. Beim Zuschauen wird schnell ersichtlich, wie gravierend diese Kriege für die arabische Gesellschaft und Welt waren. Und man versteht, warum ein Perspektivwechsel nötig ist.

Für das szenische Projekt, das nun in Athen präsentiert wurde und beim Festival Theater der Welt 2017 in Hamburg zur Uraufführung kam, hat Shawky den Text des berühmten Rolandslieds mit dem traditionellen (aber leider allmählich aussterbenden) Gesang der Perlentaucher, genannt Fidjeri, verbunden. West und Ost treffen so in signifikanter Weise aufeinander. Das um 1100 entstandene Rolandslied, ein altfranzösisches Versepos, erzählt von den Kriegszügen Karls des Grossen gegen die in Mittel- und Südspanien herrschenden, ursprünglich aus Nordafrika stammenden Sarazenen. Der Text ist ins Arabische übersetzt und wird von den Fidjeri-Sängern mit Trommelbegleitung in wechselnden Rhythmen vorgetragen. Die faszinierende arabische Klangwelt lässt, nebenbei bemerkt, auch Einflüsse der jüdischen Kultur hören. Das szenische Setting ist einfach: Die zwanzig Sänger – oder sollte man besser sagen Erzähler – sitzen vor einer Stadtsilhouette, wie man sie aus den Filmen kennt, auf dem Boden. Sie tragen traditionelle Kleidung und haben unterschiedliche Trommeln bei sich. Man könnte diese Darbietung auch als Konzertperformance bezeichnen, da sich die szenische Aktion auf den Gesang und wenige Gesten beschränkt. Die Rückgewinnung des Liedhaften und die Verbindung von westlicher und östlicher Tradition üben jedenfalls einen eigentümlichen Reiz aus. Und beides regt zum Nachdenken an. Das Publikum spendet am Schluss anhaltenden Beifall.

Ingo Starz