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ATHEN/ Onassis Cultural Centre: „ÇA IRA (1) FIN DE LOUIS“ von Joel Pommerat

10.10.2017 | Theater

ATHEN/ Onassis Cultural Centre, Athen
Ça ira (1) Fin de Louis
Besuchte Vorstellung am 8. Oktober 2017

Das Theater als revolutionäre Anstalt

Die Ausgangssituation der Französischen Revolution war durch eine Finanzkrise und Hunger gekennzeichnet. Insofern könnte man sagen, dass es gewisse Parallelen zur heutigen Lage in Griechenland gibt. Von einer nahenden Revolution kann hier allerdings nicht die Rede sein: Alexis Tsipras hat sich längst als lahme Ente erwiesen. Politische Diskurse auf der Theaterbühne erfreuen sich – vielleicht auch deshalb – einiger Beliebtheit bei den Griechen. So kam nun ein Stück von Joël Pommerat, das seit seiner Premiere im September 2015 in Frankreich für lebhafte Diskussionen sorgte und sorgt, zur rechten Zeit nach Athen. Das mit dem Moliére Preis 2016 ausgezeichnete Stück „Ça ira (1) Fin de Louis“ verhandelt die Französische Revolution. Und dies geschieht auf bemerkenswerte und ebenso erfrischende Weise, gerade weil Pommerat die Revolutionäre großen Namens völlig beiseite schiebt. Von den bekannten Akteuren dieser Umbruchsphase bleibt nur Ludwig XVI. übrig. Um den kurz vor dem Sturz befindlichen Herrscher braust der Lärm der politischen Debatten, welche Pommerat auf der Basis gründlichen Quellenstudiums in einer Art Reenactment zusammenführt. Das ist ein textlastiges Theater, eines, das zum intensiven Zuhören auffordert und gleichzeitig eines, das die Grenzen der Bühne sprengt und vor Energie vibriert. Pommerat scheint dabei zu interessieren, wie man Revolution und demokratische Strukturen denken und darüber Streitgespräche führen kann.

Bei „Ça ira (1) Fin de Louis“ fungiert die Bühne als politisches Podium und das Auditorium als Ort der Nationalversammlung. So sind denn auch im Zuschauerraum ständig Schauspieler und Statisten präsent und im Einsatz. Da werden Redner auf der Bühne angefeuert oder niedergeschrieen, werden Tumulte entfacht und das Podium gestürmt. Dadurch dass die Inszenierung von Joël Pommerat auf Historizität verzichtet und die Protagonisten wie politische Akteure unserer heutigen multikulturellen (!) Gesellschaft auftreten lässt, erreicht sie eine denkbar grosse Nähe zum Publikum. Für Momente kann man sich wirklich in einer aktuellen politischen Debatte wähnen, zumal die diskutierten Probleme und Fragestellungen kaum an Relevanz eingebüßt haben. Was das Publikum miterlebt, ist politisches Theater im besten Sinne. In der Inszenierung spielen alle Komponenten hervorragend zusammen: Bühnenbild und Licht von Eric Soyer, Kostüme von Isabelle Deffin und der Sound von François Leymarie. Die grossartigen Schauspielerinnen und Schauspieler hauchen den alten Debatten neues, hitziges Leben ein: Saadia Bentaïeb, Agnès Berthon, Yannick Choirat, Eric Feldman, Philippe Frécon, Yvain Juillard, Anthony Moreau, Ruth Olaizola, Gérard Potier, Anne Rotger, David Sighicelli, Maxime Tshibangu, Simon Verjans und Bogdan Zamfir.

Am Ende dieser revolutionären Lehrstunde, die beinahe fünf Stunden währt, jubelt das Publikum.

Ingo Starz

 

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