Foto: Griechisches Nationaltheater
ATHEN/ Griechisches Nationaltheater im Odeion des Herodes Attikus Plutos Besuchte Vorstellung am 10. September 2018
Eine Geschichte vom Balkan
Im Zentrum von Aristophanes‘ Komödie „Plutos“ steht der griechische Gott des Reichtums, welcher für die Verteilung von Besitz zuständig ist. Seine Antipodin ist Penia, die Göttin der Armut, welche über die moralische Bedeutung der Besitzlosigkeit predigt. Reichtum und Armut und die damit verknüpfte Verteilung von Vermoegen stehen für eine wesentliche gesellschaftspolitische Frage unserer Tage – und sie beschäftigten auch die Griechen im klassischen Athen. Aristophanes lässt in seinem Stück den armen Bürger Chremylos infolge eines delphischen Orakelspruchs auf den blinden Plutos stossen. Der mit seiner Lage Unzufriedene sieht in dieser Begegnung die Chance, Wohlstand zu erlangen. Er führt darum den Gott zum Tempel des Asklepios, wo dieser geheilt wird. Chremylos und seine Mitbürger erlangen so Reichtum, welchen sie allein zum Müßiggang nutzen. Penia wird vertrieben, während man dem Gott Plutos huldigt. So steht ist der Ausgang des Dramas zumindest bei Aristophanes festgehalten. Nikita Milivojevic, der Regisseur der Athener Produktion, die eine Kooperation des hiesigen Nationaltheaters mit demjenigen in Serbien ist, erlaubt sich ein paar Eingriffe in das Stück, welche den Intentionen des antiken Dichters nicht zuwiderlaufen, aber die Gegenwärtigkeit des Stoffs noch verstärken. „Plutos“ erhält so den Charakter einer schwarzen Balkankomödie, in welcher die Goetter unter einer Decke stecken.
Der „Plutos“ von Milivojevic ist in der heutigen Zeit angesiedelt, was die Kostueme von Marina Medenica deutlich anzeigen. Kenny MacLellan gestaltet mit beweglichen Elementen, die Strohballen gleichen, einen variabel nutzbaren Buehnenraum. In gut 100 Minuten erzaehlt der Regisseur die Geschichte, sekundiert mit zahlreichen Anspielungen auf die Gegenwart. Die Musik spielt in diesem Geschehen – aehnlich wie bei den Balkankomoedien im Film – eine zentrale Rolle. Man koennte sagen, dass gerade die exzellent aufspielende Blasmusikkapelle es ist, welche die Handlung vorantreibt und die Protagonisten auf der Buehne in den rechten Schwung versetzt. Was uns Milivojevic vor Augen fuehrt, ist eine selbstsuechtige, korrupte Gesellschaft, die stets auf den eigenen Vorteil bedacht ist. Das antike Athen entpuppt sich so, koennte man sagen, als ganz und gar balkanisch. Die Darbietung bietet gekonnte, komoediantische Zuspitzungen und mitreissenden Groove. Der Ausgang ist ueberraschend und anders als im originalen Text formuliert: In dieser Geschichte vom Balkan gehen die Goetter Plutos, Penia und Asklepius gemeinsam ab und lassen die Menschen etwas ratlos zurueck. Die Botschaft, dass die da oben noch verschlagener sind als die unten, bringt eine sehr zeitgemaesse Pointe ins Spiel. Anders gesagt: Dies duerfte sich mit den Erfahrungen des Publikums in Griechenland und Serbien – Laender, wo ein Geldschein zur rechten Zeit bis heute kleinere Wunder wirken kann -durchaus treffen. Die Inszenierung von Nikita Milivojevic haelt den Zuschauern trefflich einen Spiegel vor und erweist damit Aristophanes alle Ehre.
Auf der Buehne im Odeion des Herodes Attikus ist ein sehr gutes Ensemble versammelt, das mit viel koerperlichem Einsatz die Komoedie am Laufen haelt. Giorgos Gallos als Chremylos und Stelios Iakovidis als dessen Diener Carion geben eine klassische Paarung ab, spielen sich die Baelle zu und bieten schoene Details. Vassilis Charalambopoulos als Plutos, Galini Hatzipaschali als Penia und Giannis Kotsifas als Asklepius bilden ein trickreiches Goettertrio, das mit grossen Gesten und Effekten vorfuehrt, was die Welt im Innersten zusammenhaelt. In weiteren Rollen agieren Manos Vakousis als Blepsidemos, Kostas Koronaios als Chremylos‘ Gattin, Michalis Titopoulos als Hermes sowie Maria Diakopanagiotou und Nenad Maricic – letzter sorgt fuer eine serbische, „auslaendische“ Note im Spiel. Die Musiker bringen sich bestens in das Buehnengeschehen ein und bieten mitreissende Klaenge: Dimitris Katsivelos, Kostas Sapounis, Spiros Nikas, Leonidas Palamiotis, Renato Kushi, Stratis Skourkeas, Menelaos Moraitis und Giorgos Dousos.
Das Publikumsinteresse an Aristophanes‘ „Plutos“ ist gross, ebenso die Begeisterung am Schluss: Anhaltender Beifall und Bravorufe fuer Schauspieler und Musiker.
Ingo Starz (Athen)