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ATHEN/ Greek National Opera: VEC MAKROPULOS. Premiere

Im Haus der Zeit

21.05.2018 | Oper


Copyright: Greek National Opera.

 

Greek National Opera, Athen
Věc Makropulos
Premiere am 20. Mai 2018

Im Haus der Zeit

Der Intendant der Griechischen Nationaloper Giorgos Koumendakis verfolgt das klare Ziel, das Athener Haus zu einem Ort zeitgenössischen Musiktheaters zu machen. Das meint einerseits eine Neuinterpretation gängiger Repertoirewerke und anderseits eine Erweiterung des Repertoires. Als Komponist konnte Koumendakis im Jahr 2014 mit seiner Oper „I Fonissa“ (dt.: Die Mörderin) einen veritablen Erfolg an der Nationaloper feiern. Das Werk, welches auf einer Novelle von Alexandros Papadiamantis basiert, offenbart in Musik und Anlage des Librettos eine geistig-künstlerische Nähe zum Werk von Leoš Janáček. So war es keineswegs eine Überraschung, als Giorgos Koumendakis im letzten Frühsommer bei der Pressekonferenz zu seiner ersten Saison einen Janáček-Zyklus ankündigte. Dieser startet nun mit „Věc Makropulos“ – einer Oper, die erstmals auf dem Programm der Griechischen Nationaloper steht. Und siehe da, die letzte Neuinszenierung der laufenden Saison im neuen Haus setzt Massstäbe.

Leoš Janáčeks Oper „Věc Makropulos“ stand lange im Schatten anderer Werke des Komponisten, wie „Jenůfa“ oder „Katja Kabanová“. Es war massgeblich die Sopranistin Anja Silja, die seit den 1970er Jahren dem Werk zu stärkerer Präsenz auf den Opernbühnen verhalf. In unseren Tagen findet sich die 1926 uraufgeführte Oper regelmässig auf den Spielplänen. Janáčeks „Věk Makropulos“ basiert auf der gleichnamigen Komödie von Karel Čapek (1922). Der Komponist erstellte selber das Libretto, welches von einigen Kürzungen abgesehen dem Text des Dramatikers folgt. Der etwas verwirrend anmutende Inhalt der Oper erzählt die Geschichte der Elina Makropulos, die dank eines von ihrem Vater auf Geheiss des Kaisers Rudolf II. entwickelten Lebenselixiers auf ein Alter von 337 Jahre zurückblicken kann. Die Oper enthüllt einige Stationen des langen Lebenswegs und präsentiert uns Makropulos als Opernsängerin Emilia Marty. Wie andere Werke der Zeit, zeigt „Věk Makropulos“ eine Frau als Femme fatale, die Männer anzieht, demütigt und auch zugrunde richtet. Der entscheidende Punkt der Handlung ist, dass es Marty mit Einwilligung zu einer Liebesnacht gelingt, an das wiedergefundene griechische Manuskript, welches die Rezeptur des Lebenselixiers enthält, zu kommen. Bedrängt von ihrer männlichen Gefolgschaft und müde von der Langeweile des Daseins gibt die Sängerin am Ende der Oper das Geheimnis ihres langen Lebens preis und verfällt in ein Lamento über dessen Trostlosigkeit. Die junge Sängerkollegin Krista verbrennt schliesslich das Manuskript und Emilia Marty bricht betend zusammen. Was Čapek und Janáček auf die Bühne bringen, ist ein Stück Science Fiction, eine Debatte um Unsterblichkeit und Zeit. „Věc Makropulos“ war in den 1920er Jahren ganz am Puls einer Zeit, die auf verschiedenste Weise nach dem „Neuen Menschen“ suchte.

Der Regisseur Yannis Houvardas hat zusammen mit der Bühnenbildnerin Eva Manidaki ein Haus der Zeit – so der Titel seines Programmbuchbeitrags – auf die Bühne gebracht. Es ist ein Ort wundersamer Handlungen, im Stil der Entstehungszeit des Werks gehalten. Houvardas lässt von der eingefügten Rolle des Doktors [Makropulos], welchem der Bühnentechniker und die Reinigungskraft assistieren, ein Spiel auf der Bühne inszenieren. Die Partitur bleibt unangetastet, wird aber zu Beginn, zwischen den Akten und vor den Schlusstakten für kurze szenische Erweiterungen geöffnet. Diese Zusätze bilden im wahrsten Sinne des Wortes Zeitfenster, thematisieren sie doch durch Atembewegungen oder choreografierte Körper (Bewegung: Patricia Apergi) sowie den Lauf der Uhrzeigers an der Wand den Aspekt der Zeit. Das Geschehen ist in einem Einheitsraum angesiedelt, der assoziationsreich an einen Wartesaal, ein Sanatorium, Laboratorium oder auch an einen grossbürgerlichen Salon – man beachte die Polstermöbel – erinnert. Emilia Marty betritt diesen Raum, die Bühne vom Zuschauerraum aus. Die Bühnenarchitektur ist fensterlos und weist im oberen Wandsegment eine Art Schaukasten mit Pflanzen auf – ein Hinweis auf die ausgesperrten Kräfte der Natur. Erst kurz vor Ende der Aufführung schauen wir hinter das grüne Idyll und erkennen die gealterte Emilia Marty, schlurfend in einer White Box: Die Natur obsiegt.

Yannis Houvardas versteht das Ensemble zu führen und lässt die Männerriege mit einigem Gespür für Komik um Emilia Marty kreisen, gleich Planeten um die Sonne. Der Regisseur entwirft Szenen, die bisweilen an das Theater des Christoph Marthaler erinnern – beide verbindet, das sie gerne Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammen denken und gestalten. Das gelungen ausstaffierte Haus der Zeit – die Kostüme stammen von Ioanna Tsami -, das nun auf der Athener Bühne steht, liefert das passende, symbolträchtige Setting für Janáčeks traurig-komische Oper.

Die beiden Kraftzentren des Abends finden sich auf der musikalischen Seite. Da ist zum einen der junge slowakische Dirigent Ondrej Olos zu nennen. Er verfügt bereits über eine langjährige Erfahrung mit den Opern Janáčeks und erhielt 2006 den renommierten Leoš Janáček Preis für sein Dirigat der Oper „Das schlaue Füchslein“ – ein Werk, das er 2015 auch in Athen dirigierte. Unter der Leitung von Ondrej Olos läuft das Orchester der Nationaloper zu Hochform auf. Er fächert das für Janáček kennzeichnende Klangbild der Sprechmelodien in bewundernswerter Weise auf. Farbig und beredt, spätromantisch und modern tönt es aus dem Graben. Alle Orchestergruppen zeigen sehr schöne Leistungen, Orchester und Sänger verschmelzen zu einer der Sprachbewegung gehorchenden Einheit.

Das andere Kraftzentrum der Aufführung ist Elena Kelessidi als Emilia Marty. Sie verfügt über alles, was es für diese Rolle braucht: Eine klangschöne und charaktervolle Stimme, eine sehr gute Diktion und eine starke Bühnenprãsenz. Sie weiss, die Parlando-Teile akzentreich zu gestalten und den Schlussgesang mit grosser Intensität und Leuchtkraft über die Rampe zu bringen. Kelessidi zeichnet ein glaubhaftes und faszinierendes Porträt einer Frau zwischen den Zeiten und sie begeistert so das Publikum mit einer wahrlich grossartigen Leistung.

Neben der Interpretin der Titelpartie bieten alle anderen Solisten sehr gute Leistungen, wobei Dimitris Paksoglou als Albert Gregor mit seinem expressiven, sicher geführten Tenor besonders hervorgehoben werden muss. Desweiteren bereichern Vangelis Maniatis als Kolenatý, Nikos Stefanou als Vítek, Artemis Bogri als Krista, Yannis Yannisis als Baron Prus, Christos Kechris als Janek, Dimitris Sigalos als Graf Hauk-Šendorf, Arkadios Rakopoulos als Bühnentechniker und Miranda Makrynioti als Reinigungskraft/Zimmermädchen den musikalischen Part. Der Schauspieler Ieronymos Kaletsanos spielt den Doktor.

Starker Beifall und Bravorufe am Ende der Aufführung.

Ingo Starz (Athen)

 

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