Athens Epidaurus Festival, Antikes Theater von Epidauros : Schaubühne Berlin: ödipus
Besuchte Vorstellung am 5. September
Trouble im Familienkonzern
Copyright: Thomas Daskalis
Das Programm des Athens Epidaurus Festival weist in diesem Jahr zwei Schwerpunkte aus. Einerseits nehmen sich einige Produktionen griechischer Regisseure aus Anlass des 200 Jahr-Jubiläums der griechischen Revolution Fragen zur griechischen Identität an, anderseits hat das Festival vier Stückeschreiber beauftragt, griechische Mythen in die Gegenwart einzuschreiben. Ein Projekt, welches im kleineren Theater von Epidauros angesiedelt ist. In Zusammenhang mit dieser Neuerkundung mythischer Strukturen steht auch die aktuelle Zusammenarbeit mit der Schaubühne Berlin. Das renommierte Theater bringt nun als Uraufführung eine Neuschreibung von Ödipus auf die Bühne des antiken Theaters von Epidauros. Regie führt der in Griechenland sehr geschätzte Thomas Ostermeier.
Maja Zade, die auch als Dramaturgin fungiert, hat den Text der Aufführung verfasst. Sie hat, das muss man ihr zugute halten, ein durchaus passendes Setting für die Geschichte gefunden, in der die drei Hauptfiguren Ödipus/Michael, Iokaste/Christina und Kreon/Robert sowie Theresa, die vielleicht fern an Teiresias gemahnt, recht plausibel in Beziehung zueinander treten. Die Mitglieder eines deutschen Familienunternehmens treffen in ihrer griechischen Ferienvilla zusammen. Das sind Christina, die Chefin des Chemiekonzerns, Michael, ihr junger Lover und Mitarbeiter, sowie Robert, Christinas Bruder. Michael lässt einen Fall von Umweltverschmutzung untersuchen, der durch einen Unfall des Patriarchen Wolfgang, der dabei ums Leben kam, ausgelöst wurde. Christina, die Wolfgang nie wirklich liebte und ein Kind von ihm verheimlichte und weggab, erwartet Nachwuchs von Michael. Robert, der vom Kind seiner Schwester wusste und eifersüchtig auf den Konkurrenten im Unternehmen schaut, zeigt sich als machtbewusster, jähzorniger Manager. Hitzige Gespräche beherrschen von Anfang an die Szene. Als man auf Wolfgangs Unfall zu sprechen kommt und Michael entdeckt, dass er diesen verursacht hat, kommt der Ball der Enthüllungen und der Erkenntnis ins Rollen. Theresa, Christinas beste Freundin, war Helferin bei der Weggabe des unerwünschten Kindes und ist nun Kronzeugin der tragischen Erkenntnis, dass Michael Christinas Sohn ist.
Aber ist das, was uns Maja Zade erzählt, wirklich so tragisch? Der Gegensatz zwischen dem Softie, Uniabsolventen und Allesversteher Michael und dem mit allen Wassern gewaschenen Robert erzeugt fraglos Spannung, lässt aber im Schlussteil die tragische Fallhöhe für die Hauptfigur vermissen. Dass sich der stets um Verständnis und Integrität bemühte Antiheld plötzlich wie ein Rasender gebärdet, ist wenig plausibel. Fast meint man, da bricht für einmal der antike Rachefuror durch. Davon abgesehen ist das Problem der Aufführung, und dies wiegt vielleicht insgesamt schwerer, dass der Text zu viel erklärt, zu viele Phrasen bereithält und so mitunter Sachverhalte zerredet. Einen originären Ton, Sprachfluss oder Geheimnisse weist Zades Text nicht auf. Der Mythos verliert an existenzieller Aussagekraft – was passiert, wird die Familie schon regeln.
Jan Pappelbaum hat Thomas Ostermeier eine Ferienvilla auf die Bühne gestellt, welche an die Urform von Haus und Herd erinnert. Der Bewegungsradius der Figuren ist beschränkt, der Familienkonflikt wird zuallererst verbal im Haus und auf der Terrasse ausgetragen. Erst im Schlussteil wird der Bühnenraum stärker aktiviert und sogar der Zuschauerraum kurzzeitig miteinbezogen. Live-Videos von Matthias Schellenberg und Thilo Schmidt auf einer Wandfläche hinter der offenen Hauskonstruktion zeigen grossformatig die Gesichter der Protagonisten in Schlüsselmomenten. Die Musik von Sylvain Jacques hilft, die Handlung zu strukturieren. Videoscreens und Musik – sowie die Mikroports der SchauspielerInnen – bringen das eher intime Geschehen auf der Bühne fraglos näher zu denen, die in den oberen Rängen des Halbrunds sitzen. Was uns Ostermeier mit seiner routinierten Personenführung zeigt, scheint dennoch mehr für einen geschlossenen Theaterraum gemacht worden zu sein (und bald wird die Schaubühne die Produktion ja auch in Berlin zeigen). Oder sind die Wutattacken Roberts im ersten Teil, die etwas übertrieben zur Darstellung kommen, dem grossen Raum geschuldet? Caroline Peters als Christina gibt die beste Figur ab, mit ihrer starken Präsenz ist sie das Zentrum der Aufführung. Daneben wirken Renato Schuch als Michael und Christian Tschirner als Robert doch ein wenig zu schablonenhaft gezeichnet. Isabelle Redfern gibt eine solide Darstellung der besten Freundin Theresa. Im Ganzen, so könnte man es zusammenfassen, kranken Text und Aufführung daran, dass sie uns den Mythos allzu sehr vorführen wollen. Es waren schon bessere Inszenierungen von Thomas Ostermeier in Griechenland zu sehen.
Das Publikum spendet lang anhaltenden, mit Bravorufen durchsetzten Beifall.
Ingo Starz (Athen)