Copyright: Athens & Epidauros Festival
Athens & Epidauros Festival
Peiraios 260 H
Pursuit of Happiness
Besuchte Vorstellung am 3. Jun i2018
Ein Western aus Bagdad
Der Western Saloon hat dank unzähliger Hollywoodfilme einen festen Platz im kulturellen Gedächtnis erlangt. Dieser Schauplatz unheilvoller Begegnungen, ausgiebiger Schiessereien und Saufgelage kann geradezu als Sinnbild für das Glücksstreben gelten, das die Vereinigten Staaten von Amerika ihren Bürgern gleichsam garantieren. In den Filmen obsiegte stets die Gerechtigkeit und die Guten waren leichthin von den Bösen zu unterscheiden. Die gute Sache und das Recht des Stärkeren waren darin nicht unbedingt ein Widerspruch. Das Nature Theater of Oklahoma von Pavel Liska und Kelly Copper bietet nun zusammen mit der slowakischen Tanzcompagnie EnKnapGroup in „Pursuit of Happiness“ eine heutige Lesart des Western Saloons. Und siehe da, geschossen wird noch immer.
Der Saloon auf der Bühne ist ganz und gar Kulisse. Darin agieren die Tänzerinnen und Tänzer der EnKnapGroup zunächst wie traumatisierte Angehörige der amerikanischen Familie – oder sagen wir besser wie Neuankömmlinge, deren fremdländischer Akzent das gesprochene Englisch durchdringt. Es geht um zerrüttete Familien sowie um gescheiterte Beziehungen und der Zuschauer landet in seinen Gedanken schnell beim heutigen Zustand der amerikanischen Gesellschaft und beim fragwürdigen Waffenrecht. Dann nimmt das Ganze eine interessante Wendung, wenn sich die Künstler als solche zu erkennen geben und ein Trip nach Bagdad in Szene gesetzt wird. Der Saloon bleibt unverändert – Amerika ist schliesslich überall. Die von einem Tänzer erzählte Geschichte ist eine Groteske, aber vielleicht auch eine Parabel auf amerikanische Politik, die Macht der Medien und die Ohnmacht der Kunst. Zwischen den Realitäten einer Nachkriegszeit im Irak und einer künstlerischen Performance angesiedelt resp. schwankend, verwischen die Grenzen zwischen Künstlern und Soldaten. Das Geschehen entwickelt dabei einigen Charme und Tiefsinn und das kunstvoll entworfene Setting erweist sich zwischen Wortkaskaden und punktgenauer Choreografie – anders als auf der Bühne behauptet – als durchaus und unbedingt sinnvoll und nützlich.
Pavel Liskas und Kelly Coppers Performance „Pursuit of Happiness“ gibt ein treffendes Bild einer amerikanisch-westlichen Welt, die oft zum eigenen Klischee verkommen ist. Dass dieses postdramatische Werk mehr Fragen stellt als Antworten liefert und den vermeintlichen Realitäten zutiefst misstraut, macht seine Stärke aus. Dazu kommt ein exzellentes, sechsköpfiges Ensemble: Luke Thomas Dunne, Ida Hellsten, Bence Mezei, Lada Petrovski Ternovšek, Jeffrey Schoenaers und Ana Štefanec Knez. Theatermacher und Tanzensemble bringen eine energetische, gedankenreiche Performance auf die Bühne. Und die gewichtige Frage steht nachhallend im Raum: Was kann Kunst leisten?
Das Publikum dankt mit starkem, anhaltendem Beifall. Und nach der Vorstellung sieht man viele Zuschauer diskutierend zusammen stehen. Kein schlechtes Resultat für eine Theateraufführung.
Ingo Starz (Athen)