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ATHEN/ Athens & Epidauros Festival Greek National Opera im Odeion des Herodes Attikus: CARMEN

Carmen im Hier und Jetzt

30.07.2018 | Oper


Anita Rachvelishvili. Foto: Athens & Epidauros-Festival

Athens & Epidauros Festival

Greek National Opera im Odeion des Herodes Attikus

CARMEN

Besuchte Vorstellung am 29. Juli 2018

Carmen im Hier und Jetzt

Sie kam, sie sang und sie triumphierte: Anita Rachvelishvili gastiert als Carmen im Athener Odeion des Herodes Attikus und begeistert das Athener Publikum. Die zweite der sommerlichen Opernproduktionen gibt der Griechischen Nationaloper in diesem Jahr die Gelegenheit, einen Star der Opernwelt auftreten zu lassen. Dank einem Sponsor konnte die weltweit gefeierte Mezzosopranistin Anita Rachvelishvili engagiert werden. Die Georgierin wird denn auch ihrem Ruf vollauf gerecht und bietet in musikalischer Hinsicht ein ebenso ausgereiftes wie detail- und farbenreiches Rollenportrait. Der warme Ton ihrer Stimme und deren satte Tiefe geben den lyrischen wie dramatischen Momenten der Partie eine profunde Basis. Dabei bleibt die Stimme stets beweglich und klingt niemals schrill. Keine Frage, die Rachvelishvili ist das musikalische Zentrum des Abends.


Anita Rachvelishvili, Pavel Cernoch. Foto: Athens & Epidauros-Festival

In szenischer Hinsicht hat die in der zweiten Saion laufende Produktion leider nicht hinzugewonnen. Der Gedanke des Regisseurs Stephen Langridge, dass Georges Bizets „Carmen“ aus einer heutigen Perspektive gelesen und mit aktuellen Fragen der Migration verbunden werden kann, ist sicherlich nicht falsch. Die Diskriminierung der Roma in Europa, die Migration aus dem Nahen Osten und aus Afrika sowie Genderaspekte lassen sich interpretatorisch verarbeiteten. Allerdings bedarf es hierzu mehr als der Verwendung von Absperrgittern und heutiger Kleidung (Ausstattung: George Souglides) auf der Bühne. Erforderlich ist eine genaue, realistische Personenführung. Leider fehlt es eben daran. Sichtbar wird dies, wie so oft, insbesondere am Chor, der immer wieder eher statisch zum Einsatz kommt oder mit einem wenig überzeugenden, theatralischen Repertoire an Gesten aufwartet. Auch zwischen den Hauptprotagonisten, Carmen und Don Jose, will keine rechte Spannung aufkommen – nicht einmal im Schlussbild, wo sie einander in einer umgitterten Arena begegnen. Man erwartet einen Kampf der Geschlechter und bekommt nicht mehr als eine Art Ehekrach geboten. Die Inszenierung von Langridge bringt visuelle Referenzen zu Problembereichen unser heutigen Welt, sie ist aber nicht in der Lage, diese in sprechende Bilder und Bewegungen zu uebersetzen. Leider erweist sich die Produktion darum als relativ spannungsarm.

Was aus dem Orchestergraben kommt, gibt leider auch nicht viel Grund zur Freude. Das Orchester der Nationaloper serviert unter der Leitung von Lukas Karytinos eine Wiedergabe der Oper, die über einige wohlklingende Momente nicht wirklich hinauskommt. Man erlebt zwar gelungene Bläserpassagen, erfährt aber mangels deutlicher Akzentsetzungen wenig von der dramatischen Kraft und Struktur der Partitur – dies wird etwa in der Kartenszene von Carmen deutlich und zum Problem. Weiterhin geraten Karytinos‘ Tempi oft zu langsam und lassen so den Spannungsbogen regelmässig abfallen. Der von Agathangelos Georgakatos einstudierte Chor und der von Konstantina Pitsiakou geleitete Kinderchor bieten solide Leistungen.


Pavel Cernoch, Anita Rachvelishvili. Foto: Athens & Epidauros-Festival

Das um den Star Anita Rachvelishvili versammelte Ensemble bietet Leistungen auf unterschiedlichem Niveau. Pavel Cernoch als Don Jose bietet grossen stimmlichen Einsatz, der seine Stimme bisweilen etwas zu sehr unter Druck setzt. Das charaktervolle Timbre unterstreicht gelungen die Verzweiflung und Leidenschaft der Figur, bisweilen – etwa in der Blumenarie – mag man jedoch ein wenig den fehlenden mediterranen Stimmglanz vermissen. Cernoch bietet aber doch Gesang auf hohem Niveau. Dionysios Sourbis als Escamillo ist eine fesche Erscheinung, für seine Stimme liegt die Rolle aber etwas zu tief. Maria Mitsopoulou als Micaela vermag in Punkto Timbre und Gesangslinie keinen grossen Eindruck zu machen.

Die restlichen Partien sind solide bis gut besetzt – mit Tassos Apostolou als Zuniga, Yannis Selitsaniotis als Morales, Chrissa Maliamani als Frasquita, Artemis Bogri als Mercedes, Haris Andrianos als Dancairo und Nikos Stefanou als Remendado. Rachvelishvili führt das Ensemble in jeder Hinsicht an und sie spornt die Kollegen um sie herum fraglos auch an. Es ist zu hoffen, dass die Nationaloper nun vermehrt hochklassige Interpreten in grossen Rollen des Repertoires aufbieten wird.

Das Publikum im gut gefüllten Halbrund des Odeions spendet im Laufe des Abends reichlich Beifall. Am Schluss werden alle Beteiligten gefeiert, wobei Anita Rachvelishvili mit zahlreichen und Pavel Cernoch mit einigen Bravorufen bedacht werden.

Ingo Starz (Athen)

 

 

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