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ATHEN/ Athens & Epidauros Festival, Antikes Theater von Epidauros Nordgriechisches Nationaltheater: IPHIGENIE IN AULIS

Fanatische Griechen

20.07.2019 | Theater


Copyright: Athens & Epidauros-Festival

Athens & Epidauros Festival, Antikes Theater von Epidauros

Nordgriechisches Nationaltheater: IPHIGENIE IN AULIS

Besuchte Auffuehrung am 19. Juni 2019

Fanatische Griechen

Euripides‘ letztes Drama „Iphigenie in Aulis“, welches erst posthum uraufgefuehrt wurde, kommt seltener auf die Buehne, zumindest ausserhalb Griechenlands. Das Nordgriechische Nationaltheater aus Thessaloniki bietet nun eine Sommerproduktion des Stuecks an, die fuer zwei Auuffuehrungen in das grandiose antike Theater von Epidauros kam. In der Uebersetzung von Pantelis Boukalas setzte Yannis Kalavrianos das Werk in Szene. Euripides‘ Drama erzaehlt eine Begebenheit, welche sich am Anfang des Trojanischen Krieges ereignet. Die griechische Flotte sitzt wegen Windstille in Aulis fest und ein Orakelspruch verdammt den Heerfuehrer Agamemnon dazu, zur Erlangung des noetigen Winds seine Tochter Iphigenie der Gottheit Artemis zu opfern. Der Dramatiker bringt eindruecklich den Gewissenskonflikt des mykenischen Herrschers und ebenso den von Verzweiflung zu Fanatismus umschlagenden Gemuetszustand der Titelheldin zur Sprache. Darueber hinaus ist „Iphigenie in Aulis“ das erste Stueck, in dem die Griechen als Einheit dargestellt werden, in dem sich griechische Solidaritaet gegen eine vermeintliche Bedrohung durch Barbaren richtet.

Der Schluss der Auffuehrung, der fanatisch klingende Freiheitsappell der Titelheldin und der daraufhin vom Droehnen der Militaerstiefel begleitete Abgang der Krieger, zeigt, dass der Regisseur Yannis Kalavrianos den Nationalismus, der auch in diesem Werk steckt, momenthaft deutlich anspricht. In der Tat sind die im Drama verhandelten Aspekte wie der Wille zum Fuehrersein, Opferbereitschaft fuers Vaterland und ein gewisser Nationalismus und Fanatismus von erheblicher Relevanz fuer unsere Gegenwart.  Darum ist es ein wenig schade, dass die Inszenierung die Abgruende des griechischen Handelns nicht noch deutlicher zeigt und zeitgenoessischer darstellt. Gerade der juengst beendete Namensstreit mit Nordmazedonien hat gezeigt, das sich nationalistische Gefuehle einiger Beliebtheit im heutigen Griechenland erfreuen. Buehnenbild und Kostueme von Alexandra Bousoulega und Rania Yfantidou tauchen das Geschehen in Schwarz, worin nur die Blumen der Braut resp. des Opfers weisse Akzente setzen. Kalavrianos praesentiert die handelnden Figuren in einfachen, eher statischen Setzungen. Der Frauenchor folgt immerhin gewissen, an den Sprechakten orientierten Bewegungsablaeufen. Auch wenn die Kostueme der Gegenwart verpflichtet sind, bleibt das Geschehen doch eher im zeitlosen Raum. Da und dort kommen Mikrophone zum Einsatz, was offensichtlich den Unterschied zwischen privatem und oeffentlichem Sprechen markieren soll. Der Regisseur gibt dem Text den noetigen und an diesem Ort auch erwarteten Raum zur Entfaltung, setzt aber nicht genug interpretatorische Akzente. Kurze Blackouts, Momente ohne Licht, die Abgruende im Denken und Reden der Figuren gleichsam szenisch fassbar machen, reichen da nicht aus. „Iphigenie in Aulis“ koennte uns noch staerker aufruetteln, wenn die Inszenierung eine zeitgenoessischere Auslegung praesentiert haette.

Auf der Buehne oder genauer im Rund der Orchestra sind es eher die Frauen, die ihren Rollen viel Komplexitaet abgewinnen. Maria Tsima als Klytaimnestra und Anthi Efstratiadou als Iphigenie bieten ueberzeugende Rollenportraets. Yorgos Glastras gewinnt als starker Mann und Fuehrer der Griechen zu wenig Profil. Nikolas Marangopoulos als Menelaos und Thanasis Raftopoulos als Achill zeigen gute Leistungen. Der alte Mann und der Bote sind mit Yorgos Kafkas und Christos Stylianou ueberzeugend besetzt. Der Chor der Frauen macht seine Sache gut, ebenso der Musiker Dimitris Chountis, welcher die Rhythmus erzeugende Buehnenkomposition von Thodoris Economou zur Auffuehrung bringt. Man erlebt eine wohltemperierte, aber nicht eben mitreissende Inszenierung von Euripides‘ letztem Drama.

Das Publikum spendet starken Applaus.

Ingo Starz

 

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