Kathryn Hunter. Foto: Marilena Stafylidou
Athens & Epidauros Festival, Antikes Theater von Epidauros: DER GEFESSELTE PROMETHEUS von Aischylos
Besuchte Vorstellung am 9. August 2019
Mensch und Gott
Das Athens & Epidauros Festival 2019 geht mit einer Inszenierung von Aischylos‘ Tragoedie „Der gefesselte Prometheus“ zu Ende. Das Stadttheater Patras zeichnet sich fuer diese Produktion verantwortlich, welche wegen der Besetzung der Hauptrolle einige Aufmerksamkeit auf sich zieht. Die britische Schauspielerin Kathryn Hunter, Tochter griechischer Immigranten, konnte fuer die anspruchsvolle Rolle gewonnen werden. Sie ist es denn auch, die dem Abend eine besondere Note verleiht. Obschon klein und zierlich, entfaltet Hunter mit Stimme, Gesten und Mimik grosse Wirkung. Indem sie in die Maennerrolle schluepft, gewinnt Hunter dem Titelhelden ungemein menschliche, man moechte sagen allgemein-menschliche Facetten ab, betont eindringlich Leiden, Empathie und Zerrissenheit der Figur. Hunters ’sprechender‘ Koerper ist das energetische Zentrum der Auffuehrung.
Stavros Tsakiris kann neben Kathryn Hunter noch einen zweiten Joker vorweisen: den bildenden Kuenstler Kostas Varotsos, der einen bildstarken, symbolischen Buehnenraum entworfen hat. Die Buehne zeigt im Zentrum einen roten Pfahl, der einem Stachel gleicht, dahinter eine Tribuene, die an die Sitzreihen des antiken Theaterauditoriums erinnert, und im Vordergrund grossformatige, auf dem Boden ausgebreitete Buecher. Es sind im Verlauf der Auffuehrung diese Buecher, die in den Haenden des Chors markante visuelle Akzente setzen. Sie koennen gleich Vogelschwingen in Bewegung versetzt werden, die Bilder Ihrer Seiten lassen sich als Kommentare des Geschehens lesen. Die Chormitglieder treten zu Beginn aus dem Auditorium auf und bespielen die erwaehnte Tribuene: Sie werden so als Spiegelfiguren des Publikums gekennzeichnet. Leider erschoepft sich die Personenfuehrung von Tsakiris in der Schaffung von wenig aufregenden Tableaus, so dass es umso mehr Hunter und Varotsos zukommt, den Abend vorantreiben und dem Geschehen Tiefe zu verleihen. Gelungen ist das Lichtdesign von Sakis Birbilis, das wirkungsvoll die Bilderwelt des Kuenstlers ergaenzt.
Der Regisseur hat die Dramenhandlung um einen Erzaehler ergaenzt, der zusammen mit den Buechern auf das Moment der Ueberlieferung, der Literaturwerdung verweist. Es ist eine interessante Idee, die ihn Nikitas Tsakiroglou eine eindrueckliche Erzaehlerfigur findet. Daneben bietet die gesamte Besetzung gute Leistungen: Dimitris Piatas als Hephaistos, Peggy Trikalioti als Io, Gerasimos Gennatas als Oceanos, Alexandros Bourdoumis als Kratos, Iliana Mavromati/Antigone Fryda/Kostas Nikouli als Hermes und Periklis Vasilopoulos als Koryphaeus. Stavros Tsakiris gelingt kein grosser Wurf mit seiner Inszenierung, mit Kathryn Hunter als Prometheus und Kostas Varotsos‘ Buehnendesign vermag er aber Momente von grosser Eindringlichkeit auf die wunderbare Buehne des antiken Theaters von Epidauros zu setzen.
Das Publikum spendet anhaltenden Beifall und viele Bravorufe fuer Kathryn Hunter.
Ingo Starz (Athen)