Opernausgrabung in Annaberg: „Tanhäuser“ von Carl Amand Mangold (Vorstellung: 2. 5. 2014)
Frank Unger als Tanhäuser und Bettina Grothkopf als Venus im Badezuber, rechts Rebekka Simon als Amor (Foto: Dirk Rückschloß)
Im kleinen, aber schmucken Eberhard-von-Winterstein-Theater in Annaberg-Buchholz, in dem jedes Jahr eine Opernrarität gespielt wird, hat man sich heuer eine Besonderheit einfallen lassen. Dass zur gleichen Zeit, als Richard Wagner seinen „Tannhäuser“ schrieb, der Darmstädter Hofkapellmeister Carl Amand Mangold ebenfalls eine Oper über den Minnesänger komponierte, ist kaum bekannt. Er verwendete für seinen „Tanhäuser“ einen Text des österreichischen Dichters und Journalisten Eduard Duller.
Erstaunlicherweise haben beide Komponisten, die gleich alt waren, ihre Arbeit an den Opern auch fast zur gleichen Zeit beendet: Richard Wagner am 29. Dezember 1844, Mangold eine Woche später am 6. Jänner 1845. Die Wagner-Oper wurde am 19. Oktober 1845 in Dresden, die Mangold-Oper am 17. Mai 1846 in Darmstadt uraufgeführt, wo sie bis 1850 gespielt wurde und erst von einer anderen Mangold-Oper („Gudrun“) 1851 abgelöst wurde.
Carl Amand Mangold (1813 in Darmstadt geboren, 1889 in Oberstdorf gestorben) stammte aus einer hessischen Musikerfamilie, studierte in Paris und war von 1848 bis 1869 Hofkapellmeister seiner Heimatstadt. Er schrieb insgesamt 5 Opern, wobei sein „Tanhäuser“ 1892 unter dem Titel „Der getreue Eckart“ eine Neufassung mit neuem Libretto erhielt, die mit der Heirat des Helden endet. Eduard Duller (1809 in Wien geboren, 1853 in Wiesbaden gestorben) studierte in Wien und ging 1830 nach Deutschland, wo er als Journalist für verschiedene Medien tätig war und sogar eine belletristische Zeitung gründete. 1837 übersiedelte er nach Darmstadt, wo er Mangold kennenlernte. 1848 war er ein glühender Anhänger der Revolution, später wurde er ein Prediger der Neukatholiken, eine Bewegung, die eine Loslösung vom römischen Papst anstrebte.
Mangold und Duller verbanden ihre Tanhäuser-Geschichte mit der Sage vom treuen Eckart, deren Tochter Innigis Tanhäuser liebt, ohne die Hoffnung zu haben, dem Ritter ihre Liebe auch nur gestehen zu können. Als Tanhäuser den Verlockungen der Venus im Hörselberg folgt, will sie ihn schützen und begleiten, wohin auch immer. Nachdem er den Venusberg verlassen hat, zieht sie mit ihm sogar nach Jerusalem, wohin sich Tanhäuser wie ein Kreuzfahrer begibt, um vom Patriarchen Gnade für seine Sünden zu erflehen. Als der Patriarch Urbanus ihm diese verweigert, zieht Innigis mit ihm zurück nach Thüringen, wo sie ihm ihre Liebe gesteht. Am Ende erblühen aus dem dürren Stab, den Urban ihnen nachgeworfen hat, Rosen – und die Gnade über Tanhäuser und Inniges hat auch die Kinder der Stadt Eisenach befreit, die Venus in ihrem Berg gefangen gehalten hatte.
Die Regie besorgte wieder Ingolf Huhn, der sich als Intendant des Theaters von Annaberg-Buchholz bereits seit Jahren um Opernausgrabungen große Verdienste erworben hat. Mit Humor – Venusberg mit Badehaus-Zuber, Tanhäuser und Innigen im Vogelnest bei der Rückkehr aus Jerusalem – und guter Personenführung, die sich besonders in den Chorszenen günstig auswirkte, schuf er eine kurzweilige Inszenierung ganz nach dem Geschmack des Publikums. Kongenial unterstützt wurde er von Tilo Staudte, der für die Ausstattung verantwortlich zeichnete. Er nützte alle Möglichkeiten der Drehbühne, sodass die verschiedenen Szenen der vier Akte – Volksfest, Venusberg, Turm des Patriarchen in Jerusalem, Vogelnest und Gemeindeplatz in der Heimat – wirkungsvoll dargebracht werden konnten.
In der Titelrolle glänzte der junge Tenor Frank Unger als fescher Minnesänger, der nicht nur im Zuber zur Freude der Venus-Damen gute Figur machte, sondern auch stimmlich die anspruchsvolle Partie bewältigte. Seinen treuen Dienstmann Eckart spielte der Bass László Varga zwar ein wenig bieder, aber seiner Rolle entsprechend. Als seine in Tanhäuser verliebte Tochter Innigis spielte die Sopranistin Madelaine Vogt zuerst das brave Unschuldslämmchen, um später doch mehr Leidenschaft in ihre Rolle zu legen. Stimmlich überzeugte sie sowohl mit lyrischen wie auch mit heroischen Tönen. Die Sopranistin Bettina Grothkopf war eine hübsche Venus, die ihre Verführungskünste mehr körperlich als stimmlich einsetzte. Auf gesangliche Schalmeientöne verzichtete sie, zu scharf klang an diesem Abend ihre Stimme.
Der Bariton Jason Nandor-Tomory gab Urbanus das Profil eines unnahbaren, würdevoll-strengen Patriarchen in der Kirche des Heiligen Grabes in Jerusalem, wo die Wallfahrer auch für schwere Sünden Entsühnung erhofften. Mit getragener Stimme verkündete er ihnen: „Durch die Macht, die mir gegeben, abzulösen jede Schuld, künde ich, ihr frommen Büßer, jetzt aufs neue Gottes Huld.“
Der junge Tenor Marcus Sandmann gab einen munteren Bänkelsänger, der wie eine Parodie auf Till Eulenspiegel auftrat, sowie den Anführer der Wallfahrer, die schmächtige Rebekka Simon einen quirligen Amor. Der Chor des Eduard-von-Winterstein-Theaters und der Extrachor (Einstudierung der Chöre: Uwe Hanke) waren in allen Rollen, die sie zu spielen hatten (Bürger der Stadt Eisenach, Pilger und Wallfahrer sowie Mönche), von mächtiger Stimmkraft. Beeindruckend der „Halleluja“-Chorgesang am Schluss der Oper.
Die Erzgebirgische Philharmonie Aue überzeugte unter der Leitung von Naoshi Takahashi schon bei der Darbietung der Ouvertüre, die eine treffliche Instrumentierung und leitmotivischen Charakter aufwies. Es war erfreulich, mit welchen Feinheiten und Nuancen die Partitur des Komponisten wiedergegeben wurde. Das Publikum war begeistert und dankte am Schluss allen Mitwirkenden mit lang anhaltendem Beifall und Bravorufen für Frank Unger, den Sänger der Titelrolle.
Udo Pacolt