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AMSTERDAM: DAS RHEINGOLD – Wiederaufnahme

19.02.2014 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

AMSTERDAM: DAS RHEINGOLD – WA 29.1.2014

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Alberich (Werner van Mechelen) und die Rheintöchter (Machteld Baumans, Barbara Senator und Bettina Ranch). Foto: Marco Borggreve

Das Musiktheater Amsterdam setzte im Januar/Februar seine Hommage an den 200. Geburtstag Richard Wagners mit einem fulminanten „Rheingold“ fort, dem bis zum 14. Februar der ganze Zyklus sowie ein zweiter folgten. Die wirkungsmächtige Inszenierung von Pierre Audi mit dramaturgischer Unterstützung durch Klaus Bertisch in den opulenten Bildern von George Tsypin und den an die griechische Antike angelehnten Kostümen von Eiko Ishioka  und Robby Duiveman aus den Tagen, als noch umfangreichere Mittel für die Oper vorhanden waren, konnte nicht nur das holländische Publikum einmal mehr begeistern. Trotz ihrer über 15 Jahre wirkte sie frisch und lebendig. Dieser „Ring“ spielt auf einer riesigen Holzscheibe, die stark zum Parkett hin geneigt ist und das Thema „Ring“ während aller vier Abende auch optisch zentral fokussiert. Orchester und Dirigent sind allzeit sichtbar und werden so zum integralen Bestandteil der Produktion. Sie stören in keiner Weise den dramaturgischen Ablauf um sie herum. Audis „Ring“-Inszenierung aus dem Jahre 1998 wirkt optisch wie musikalisch in der Tat wie das vom Komponisten gewünschte Gesamtkunstwerk… Regiekonzept, Bühnenbild, Kostüme und Choreografie wirken auf das Vollendetste zusammen, gerade auch in diesem „Rheingold“, welches mit den fliegenden Szenenwechseln der vier Bilder dynamisch homogen über die Bühne geht. Für einen stets stimmungsgerechten Gesamteindruck der Bilder in der imposant weit nach hinten und oben ausladenden Bühne sorgt die faszinierende Lichtregie von Wolfgang Göbbel und Cor van den Brink. Dazu kommt eine ausgefeilte Personenregie, die sehr agile und dezidiert vorgetragene Rollenprofile entwirft, welche die Handlung in jedem Moment mit großem Leben erfüllen. Eine interessante Choreografie, ja genauestens einstudierte Bewegungsregie, leistet dazu einen signifikanten Beitrag.

Schon die verzweifelte Werbung Alberichs um die drei erotisch lockenden Rheintöchter in körperbetontem Bordeaux-Rot wird zu einem kleinen Kabinettstück, zumal es sich auf einer großen Schräge abspielt. Werner van Mechelen gibt einen agilen und stimmstarken Alberich mit klangvollem Bassbariton und stößt später einen unter die Haut gehenden Fluch auf den Ring aus. Die Rheintöchter Machteld Baumans als Woglinde, Barbara Senator als Wellgunde und Bettina Ranch als Flosshilde singen alle exzellent bei fast akrobatischem Spiel. Das große Triumvirat, welches im Prinzip für das Gelingen einer jeden „Rheingold“-Aufführung ausschlaggebend ist, nämlich Wotan, Loge und Alberich, wird an diesem Abend trefflich von Thomas Johannes Mayer als eindringlich „wagendem Gott“ und Stefan Margita als exzellent intellektuell agierendem Loge vervollständigt. Mayer spielt den hier einmal in der Tat ganz als Gott gezeichneten Wotan, in einer Art römischer Toga in Rot, äußerst souverän und herrschsüchtig. Stimmlich überzeugt er vor allem durch seine heldenbaritonale Tongebung und somit exquisite Höhensicherheit, während ein Manko an bassbaritonaler Tiefe beim „Rheingold“-Wotan kaum ins Gewicht fällt. Hinzu kommt eine bestechend klare Diktion sowie eindringlicher stimmlicher Ausdruck. Margita, schon im Kriegenburg-„Ring“ von München als umtriebig sarkastischer Loge bewährt, sorgt hier mit bestechender Mimik und reinster Diktion für eine perfekte Dramaturgie des göttlichen Betrugs – eine intellektuelle Feinzeichnung mit charaktervollem Tenorklang. Kein Wunder, dass ihm das den größten Schlussapplaus einbringen sollte.

Die beiden Riesen, plump in irdenem Olivgrün als Erdmenschen gezeichnet, sorgen beharrlich und eindringlich für ihr Recht. Stephen Milling ist dabei als Fasolt eine Luxusbesetzung mit seinem edel prägnanten Bass, den er auch perfekt zu artikulieren vermag. Jan-Hendrik Rootering, einmal eindrucksvoller Wotan und Sachs an großen Häusern, merkt man die lange Wagner-Erfahrung an. Die Stimme wirkt jedoch für den Fafner neben Milling doch schon etwas klein. Gut der Regieeinfall, dass Fafner seinen Bruder durch eine Bewegung Wotans riesiger, vom Schnürboden herabhängender Speerspitze tötet – ein subtiler Hinweis auf den tatsächlich Schuldigen… Dass der Goldschatz bereits in seinem Ursprung als ein Ensemble von Zahnrädern und anderen zumindest teilweise industriell gefertigten Artefakten in Erscheinung tritt, erinnert an Chéreaus frühkapitalistische Deutung der Tetralogie in Bayreuth 1976. Im Prinzip entzieht sich der Amsterdamer Audi-„Ring“ aber einer thematisch eingegrenzten Deutung. Der Regisseur hält sich stark an Wagners Regieanweisungen, ohne dass es je zu szenischer Deskriptivität kommt und dabei dennoch die zentrale Aussage des „Ring“, die Unvereinbarkeit von Macht und Liebe, klar hervortritt – ein heutzutage nicht mehr allzu oft gelingender Spagat….

Für einen ganz besonderen Höhepunkt sorgt Marina Prudenskaja als attraktive und Wotan mit beeindruckender Subtilität fordernde Erda mit charaktervollem Mezzo, in einem vertikal schwarz-weiß geteilten Kostüm. Beider Annäherung findet nahezu magisch auf einem Laufsteg zwischen Dirigenten und Publikum statt, ohne dass sie sich direkt ansehen – ein magischer Moment! Im Hintergrund verschwinden Fricka und die anderen Götter im Dunkel… Doris Stoffel ist wie schon in der Amsterdamer „Walküre“ die Göttergattin, kann aber trotz souveräner Darstellung aufgrund der kehligen Tongebung einer doch schon leicht abgesungen klingenden Stimme bei unklarer Diktion in diesem guten Ensemble stimmlich kaum überzeugen. Wolfgang Ablinger-Sperrhacke ist ein überaus engagierter stimmkräftiger Mime – allerdings mit einem nur als Ausrutscher zu bezeichnenden Kostüm, in dem er wie ein zum Flug ansetzender Maikäfer aussieht und sich scheinbar auch so benehmen muss… In den Nebenrollen kann Anna Gabler als stimmlich etwas flackernde Freia nicht ganz überzeugen, während Vladimir Baykov mit einem hell timbrierten und klaren Gewitterzauber als Donner aufwartet und Marcel Reijans den undankbaren Part als Froh ansprechend erledigt.

Die Inszenierung von Piere Audi gewann aber erst ihr auch musikalisches Gewicht durch das exzellente Dirigat von Hartmut Haenchen, der mit dem Niederländischen Philharmonischen Orchester schlicht auf Festspielniveau musizierte. Schon das mythische Es-Dur Vorspiel erklang in völliger Dunkelheit ebenso dunkel-dräuend wie aus einer anderen Welt, mit ständig steigender Spannung bei höchster Transparenz. Man hörte die Wellen des Rheines regelrecht wogen… Zu jedem Zeitpunkt stand die musikalische Interpretation im Zentrum, obwohl das Orchester diesmal fast schon in traditioneller Positionierung vor der Spielfläche angeordnet war. Haenchen hatte diesen „Ring“ mit dem Orchester intensivst geprobt. Das Ergebnis war offensichtlich und bescherte einen ganz großen Wagnerabend, wie schon bei der „Walküre“ und „Götterdämmerung“, die der Rezensent zuvor erleben konnte. Zu erwähnen seien der Vollständigkeit halber noch die echten und perfekt im Takt geschlagenen Ambosse Nibelheims.

Der Abend gelang wie aus einem Guss, weil alles stimmte: Musik, Bild, Licht, Dramaturgie, weitestgehend auch die gesanglichen Leistungen, sowie eine Demonstration des „Ring“-immanenten Wagnerschen Mythos, ohne in plakative oder gar banale Konventionalität zu verfallen. Leider wurde die Produktion mit diesen beiden Zyklen endgültig beendet. Es soll aber noch eine Aufnahme dieser WA entstehen, zumindest für das Haus. Zu wünschen wäre, dass sie auch für die Allgemeinheit produziert würde – denn vielleicht wurde in Amsterdam der letzte „Ring“, der ebenso eindrucksvoll wie überzeugend zwischen mythologischer Abstraktion und Moderne zu vermitteln vermochte, zu Grabe zu tragen…   (Fotos in der Bildergalerie)

Klaus Billand 

 

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