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KÖLN/ Oper am DOM: SAMSON ET DALILA. Wiederaufnahme

17.03.2014 | KRITIKEN, Oper

„SAMSON ET DALILA“. Wiederaufnahme am 16.03.2014 in der Oper am Dom

 Die Inszenierung von Tilman Knabe hat schon vor fünf Jahren anläßlich der Pre­miere für massive Kontroversen gesorgt. Nicht anders ist es jetzt. Sie hat unter ver­schiedenen Aspekten Brisanz. In erster Linie entfernt sie sich vollständig vom Libretto und auch der Intention des Komponisten. Hätte Saint-Saens eine Tagesaktualisierung gewollt, hätte er für das 1877 in Weimar uraufgeführte Werk sogleich den deutsch-französischen Krieg von 1871 als Grundlage gewählt. Gleichwohl ist die Adaption eines zeitgenössischen Konflikts durch den Regisseur mutig. Die Kontroverse zwischen Hebräern und Philistern spielt nicht nur im Gaza-Streifen (eigentlich um 1150), sondern läßt sich ohne weiteres auf die aktuelle dortige Situa­tion zwischen Israel und Palästina übertragen. Die menschenunwürdige Umgangs­weise zwischen den verfeindeten Parteien – Meuchelei ist auf der Bühne an der Tagesordnung – erinnert an die Übergriffe im Gaza-Streifen, wie sie mehr oder we­niger wöchentlich über die Bildschirme gehen. Wenn darüber hinaus der Oberprie­ster – in deutscher Übersetzung – erklärt „Verflucht sei die israelische Rasse“, so braucht man eigentlich nur ein Adjektiv auszutauschen, um in eine Tabuzone zu geraten, in der man sowohl in Österreich als auch in Deutschland sofort in die rech­te Ecke abgeschoben und, wenn man Pech hat, wegen Volksverhetzung verfolgt wird. Knabe ist zumindest das erspart geblieben. Gleichwohl zeigten sich wesent­liche Teile des Publikums nicht weniger geschockt  als zur Premierenzeit.

 Positiv hervorzuheben ist, daß Knabe verstanden hat, die Personenführung detailliert und präzise auszuformen. Als Beispiel sei die Szene Dalila/Grand Prêtre aus dem zweiten Akt hervorgehoben, in der sich beide zunehmend annähern und sich nach getroffener strategischer Übereinkunft auch sexuell vereinigen. Gleichwohl sieht sich Dalila nicht gehindert, den danach eintretenden Samson (im wahrsten Sinne des Wortes) ebenfalls flach zu legen. Ein wesentlicher Nachteil ist, daß das orientalische Flair mehr oder weniger untergeht. Darüber hinaus läßt der Regisseur während des Bachanale zu Beginn des 3.Akts den Chor und die Statisterie fast zehn Minuten lang toben, herumgrölen und Kriegsgreuel nachstellen (Vergewalti­gungen, Erschießungen, Mißhandlungen), sodaß von der Musik fast  nichts mehr zu hören ist. Das ist unerträglich. Dass ein Regisseur zur Befriedigung seines Profi­lierungsbedürfnisses den musikalisch anspruchsvollsten Teil des ihm anvertrauten Werkes schlichtweg kaputtmacht, disqualifiziert ihn vollständig.

 Es fällt auch auf, daß auf der Bühne im 1.Akt und im Finale des 3.Akts drei offene Feuerstellen eingerichtet werden, daß Dalila und Oberpriester Zigaretten rauchen und Dalila eine davon sogar auf den Bühnenboden wirft. Selbst wenn man sich verdeutlicht, daß sicherlich hinter der Bühne drei Mitarbeiter mit Feuerlöschern ge­lauert haben, ist erstaunlich, daß eine solche Produktion überhaupt eine sicher­heitstechnische Zulassung erhalten hat. Und das, obwohl die Oper am Dom, ein ehemaliges Musical-Theater, hinsichtlich der Fluchtwege ohnehin den feuerpolizei-lichen Sicherheitsanforderungen kaum genügt.

 Für das Bühnenbild war Beatrix von Pilgrim verantwortlich. Einige gute Ideen bedürfen durchaus der Erwähnung. Dazu gehören auch die erwähnten Feuerstellen, die durchaus romantisches Flair zu vermitteln vermögen. Besonders sehenswert ist Dalilas Schlafzimmer mit einem Kingsize-Bett, grünen Wänden und vermutlich ei­nem großformatigen Spiegel. Den vermochte der Rezensent indes nicht auszuma­chen, weil die Bühne zeitweilig, so auch in der Schlafzimmerszene, auf Guck­kasten-Format verkleinert wird und man schon von der Mitte des Seitenparketts keine ausreichende Sicht mehr hat.

 Die Choreinstudierung hatte Andrew Ollivant inne. Dabei blieb es für den Chor kei­neswegs bei gesanglichen Aufgaben. Zusammen mit der Statisterie hatte der Chor vielmehr umfassende darstellerische Anforderungen zu erfüllen. Für die bereits erwähnte Mißbrauchsszene im 3.Akt stürmten Chor und Statisten über Mittelgang und Seitengänge auf die Bühne, um dort während der gesamten Dauer der Ballett­musik Mißhandlungen aller Art aneinander vorzunehmen. Dabei wurde so man­cher Wohlstandskörper älteren Jahrgangs entkleidet. Das erfüllte nicht immer ästhetische Ansprüche. Andererseits ist ein Chor primär an seiner gesanglichen Leistung zu messen, und diese war tadellos.

 Für den erkrankten Claude Schnitzler stand Antonino Fogliani am Pult. Ein Nach­teil war das nicht. Das Gürzenich-Orchester erwies sich als hervorragend geprobt und ließ keine Schwächen erkennen.

 Seit Dr. Birgit Meyer Intendantin der Kölner Oper ist, scheint es mehr und mehr bergauf zu gehen. So ist es ihr gelungen, für die Serie dieses Werks drei absolut renommierte Solisten zu verpflichten. Als Dalila brilliert Vesselina Kasarova mit un­erschöpflichen vokalen Reserven, besonders in der für diese Partie so wichtigen unteren Lage. Es ist ein Vergnügen, ihrem kultivierten und flexiblen Mezzo zu lau­schen und sie dabei auch noch optisch zu genießen. Sie hat sich eine phantasti­sche Figur bewahrt und kann sich erlauben, die Schlafzimmerszene (nur) not­dürftig bekleidet auszuspielen. Stilistisch ebenbürtig war ihr der Rollendebütant Samuel Youn, ein Grand Prêtre von markanter männlicher Ausstrahlung. Es ist ihm gelungen, auch im französischen Fach (nach seinem Debüt als Mephistopheles im Februar in Berlin) stilistisch Fuß zu fassen. In der Duettszene des 2.Akts harmonierten beide Stimmen ideal. Das gilt bedauerlicherweise nicht für Dalila und Samson. Lance Ryan, ein weiterer Rollendebütant, verfügt über ein geradezu stäh­lernes Timbre und außerordentliche Reserven, die es ihm leicht machen, beson­ders die Auftrittsszene im 1.Akt zu gestalten. In jenem Duett allerdings deckte er die sich weitgehend in der tieferen Lage ihrer Tessitura bewegende Kasarova gewis­ser­maßen zu. Zu lyrischen Ansätzen mit zurückgenommener Stimme scheint Ryan nicht mehr fähig zu sein. Es deutet sich dann ein Tremolo an. Allerdings hat er na­turgemäß auch keinerlei Probleme mit der Finalszene und fasziniert dort mit klang­voller Höhe.

 Von den zahlreichen Nebenrollen seien Roman Ialcic (Abimelech) und Young Doo Park (Alter Hebräer) erwähnt, die beide ihren Aufgaben gerecht wurden.

Klaus Ulrich Groth

 

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