„SAMSON ET DALILA“. Wiederaufnahme am 16.03.2014 in der Oper am Dom
Die Inszenierung von Tilman Knabe hat schon vor fünf Jahren anläßlich der Premiere für massive Kontroversen gesorgt. Nicht anders ist es jetzt. Sie hat unter verschiedenen Aspekten Brisanz. In erster Linie entfernt sie sich vollständig vom Libretto und auch der Intention des Komponisten. Hätte Saint-Saens eine Tagesaktualisierung gewollt, hätte er für das 1877 in Weimar uraufgeführte Werk sogleich den deutsch-französischen Krieg von 1871 als Grundlage gewählt. Gleichwohl ist die Adaption eines zeitgenössischen Konflikts durch den Regisseur mutig. Die Kontroverse zwischen Hebräern und Philistern spielt nicht nur im Gaza-Streifen (eigentlich um 1150), sondern läßt sich ohne weiteres auf die aktuelle dortige Situation zwischen Israel und Palästina übertragen. Die menschenunwürdige Umgangsweise zwischen den verfeindeten Parteien – Meuchelei ist auf der Bühne an der Tagesordnung – erinnert an die Übergriffe im Gaza-Streifen, wie sie mehr oder weniger wöchentlich über die Bildschirme gehen. Wenn darüber hinaus der Oberpriester – in deutscher Übersetzung – erklärt „Verflucht sei die israelische Rasse“, so braucht man eigentlich nur ein Adjektiv auszutauschen, um in eine Tabuzone zu geraten, in der man sowohl in Österreich als auch in Deutschland sofort in die rechte Ecke abgeschoben und, wenn man Pech hat, wegen Volksverhetzung verfolgt wird. Knabe ist zumindest das erspart geblieben. Gleichwohl zeigten sich wesentliche Teile des Publikums nicht weniger geschockt als zur Premierenzeit.
Positiv hervorzuheben ist, daß Knabe verstanden hat, die Personenführung detailliert und präzise auszuformen. Als Beispiel sei die Szene Dalila/Grand Prêtre aus dem zweiten Akt hervorgehoben, in der sich beide zunehmend annähern und sich nach getroffener strategischer Übereinkunft auch sexuell vereinigen. Gleichwohl sieht sich Dalila nicht gehindert, den danach eintretenden Samson (im wahrsten Sinne des Wortes) ebenfalls flach zu legen. Ein wesentlicher Nachteil ist, daß das orientalische Flair mehr oder weniger untergeht. Darüber hinaus läßt der Regisseur während des Bachanale zu Beginn des 3.Akts den Chor und die Statisterie fast zehn Minuten lang toben, herumgrölen und Kriegsgreuel nachstellen (Vergewaltigungen, Erschießungen, Mißhandlungen), sodaß von der Musik fast nichts mehr zu hören ist. Das ist unerträglich. Dass ein Regisseur zur Befriedigung seines Profilierungsbedürfnisses den musikalisch anspruchsvollsten Teil des ihm anvertrauten Werkes schlichtweg kaputtmacht, disqualifiziert ihn vollständig.
Es fällt auch auf, daß auf der Bühne im 1.Akt und im Finale des 3.Akts drei offene Feuerstellen eingerichtet werden, daß Dalila und Oberpriester Zigaretten rauchen und Dalila eine davon sogar auf den Bühnenboden wirft. Selbst wenn man sich verdeutlicht, daß sicherlich hinter der Bühne drei Mitarbeiter mit Feuerlöschern gelauert haben, ist erstaunlich, daß eine solche Produktion überhaupt eine sicherheitstechnische Zulassung erhalten hat. Und das, obwohl die Oper am Dom, ein ehemaliges Musical-Theater, hinsichtlich der Fluchtwege ohnehin den feuerpolizei-lichen Sicherheitsanforderungen kaum genügt.
Für das Bühnenbild war Beatrix von Pilgrim verantwortlich. Einige gute Ideen bedürfen durchaus der Erwähnung. Dazu gehören auch die erwähnten Feuerstellen, die durchaus romantisches Flair zu vermitteln vermögen. Besonders sehenswert ist Dalilas Schlafzimmer mit einem Kingsize-Bett, grünen Wänden und vermutlich einem großformatigen Spiegel. Den vermochte der Rezensent indes nicht auszumachen, weil die Bühne zeitweilig, so auch in der Schlafzimmerszene, auf Guckkasten-Format verkleinert wird und man schon von der Mitte des Seitenparketts keine ausreichende Sicht mehr hat.
Die Choreinstudierung hatte Andrew Ollivant inne. Dabei blieb es für den Chor keineswegs bei gesanglichen Aufgaben. Zusammen mit der Statisterie hatte der Chor vielmehr umfassende darstellerische Anforderungen zu erfüllen. Für die bereits erwähnte Mißbrauchsszene im 3.Akt stürmten Chor und Statisten über Mittelgang und Seitengänge auf die Bühne, um dort während der gesamten Dauer der Ballettmusik Mißhandlungen aller Art aneinander vorzunehmen. Dabei wurde so mancher Wohlstandskörper älteren Jahrgangs entkleidet. Das erfüllte nicht immer ästhetische Ansprüche. Andererseits ist ein Chor primär an seiner gesanglichen Leistung zu messen, und diese war tadellos.
Für den erkrankten Claude Schnitzler stand Antonino Fogliani am Pult. Ein Nachteil war das nicht. Das Gürzenich-Orchester erwies sich als hervorragend geprobt und ließ keine Schwächen erkennen.
Seit Dr. Birgit Meyer Intendantin der Kölner Oper ist, scheint es mehr und mehr bergauf zu gehen. So ist es ihr gelungen, für die Serie dieses Werks drei absolut renommierte Solisten zu verpflichten. Als Dalila brilliert Vesselina Kasarova mit unerschöpflichen vokalen Reserven, besonders in der für diese Partie so wichtigen unteren Lage. Es ist ein Vergnügen, ihrem kultivierten und flexiblen Mezzo zu lauschen und sie dabei auch noch optisch zu genießen. Sie hat sich eine phantastische Figur bewahrt und kann sich erlauben, die Schlafzimmerszene (nur) notdürftig bekleidet auszuspielen. Stilistisch ebenbürtig war ihr der Rollendebütant Samuel Youn, ein Grand Prêtre von markanter männlicher Ausstrahlung. Es ist ihm gelungen, auch im französischen Fach (nach seinem Debüt als Mephistopheles im Februar in Berlin) stilistisch Fuß zu fassen. In der Duettszene des 2.Akts harmonierten beide Stimmen ideal. Das gilt bedauerlicherweise nicht für Dalila und Samson. Lance Ryan, ein weiterer Rollendebütant, verfügt über ein geradezu stählernes Timbre und außerordentliche Reserven, die es ihm leicht machen, besonders die Auftrittsszene im 1.Akt zu gestalten. In jenem Duett allerdings deckte er die sich weitgehend in der tieferen Lage ihrer Tessitura bewegende Kasarova gewissermaßen zu. Zu lyrischen Ansätzen mit zurückgenommener Stimme scheint Ryan nicht mehr fähig zu sein. Es deutet sich dann ein Tremolo an. Allerdings hat er naturgemäß auch keinerlei Probleme mit der Finalszene und fasziniert dort mit klangvoller Höhe.
Von den zahlreichen Nebenrollen seien Roman Ialcic (Abimelech) und Young Doo Park (Alter Hebräer) erwähnt, die beide ihren Aufgaben gerecht wurden.
Klaus Ulrich Groth