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DRESDEN: 43. DRESDNER MUSIKFESTSPIELE (23.5. – 10.6.)

43. DRESDNER MUSIKFESTSPIELE – 23. 5. – 10. 6. 2014

 Im 7. Jahrgang der Festspiele seiner Intendanz wählte Jan Vogler das Thema „Goldene Zwanziger“, das ihm bereits lange vor seiner Zeit als Intendant vorschwebte, wobei sich diese „Zwanziger“ nicht ausschließlich auf den Anfang des 20. Jh. beziehen, sondern auch im 17., 18. und 19. Jh. musikalisch überaus fruchtbare Zeiten waren. Man denke nur an das Jahr 1627, als Heinrich Schütz mit seiner „Dafne“ die erste deutsche Oper schrieb, an 1723, als J. S. Bach Thomaskantor in Leipzig wurde und an 1822, als Franz Schubert seine „Unvollendete“ und die „Wanderer-Fantasie“ schrieb und durch die ersten Veröffentlichungen seiner Werke seinen „Durchbruch“ erzielte.

 Die Dresdner Musikfestspiele haben sich im internationalen Maßstab bei der Vielzahl der Festspiele, die es jetzt gibt, einen festen Platz erobert. Viellicht liegt das Geheimnis in der Verbindung von exzellenten „Klassik“-Konzerten im weitesten Sinne und „Crossover“. Aus der Vielzahl der Veranstaltungen können hier nur einige, besondere Veranstaltungen herausgegriffen werden:

 Semperoper: ERÖFFNUNGKONZERT MIT DER BERLINER STAATSKAPELLE UNTER DANIEL BARENBOIM – 23. 5.

 Wagner- und Strauss-Jahr war zwar 2013, aber warum sollten Daniel Barenboim und die Berliner Staatskapelle, das Hausorchester der Berliner Staatsoper unter den Linden, nicht auch 2014 mit einem reinen Wagner- und Strauss-Programm aufwarten. Zwischen Wagner und Strauss, Berlin und Dresden ergeben sich vielfältige Beziehungen. Da bot sich ein solches Programm durchaus an. Etwas anders als gewohnt, spielten die Berliner das Vorspiel zu den „Meistersingern von Nürnberg„, leicht und locker, sehr klar und klangschön, was vor allem die musikalische Struktur gut zur Geltung kommen ließ. Schließlich wollte Richard Wagner ursprünglich eine heiter-satirische Komödie schreiben, und es wurde eine große Oper daraus, die trotzdem nicht immer nur sehr ernst genommen werden muss.

 Barenboim dirigierte alles auswendig, auch Vorspiel und Liebestod“ aus „Tristan und Isolde„, ebenso klar und klangschön und relativ zügig. Wagner-Puristen mag das evtl. nicht ernsthaft genug gewesen sein, aber es war ausgesprochen angenehm anzuhören. Es war Wagner aus anderer Sicht bzw. Hörgewohnheit und im Rahmen der vielen unterschiedlichen Interpretationen durchaus eine interessante Version.

 Obwohl Richard Strauss 20 Jahre (1898-1918) am Dirigentenpult der Berliner Hofoper unter den Linden, die zur Berliner Staatskapelle wurde, stand, wurde keine seiner Opern dort uraufgeführt. Die Berliner kamen vielleicht auch deshalb mit einem seiner sinfonischen Werke, dem „Heldenleben“ nach Dresden. Es war ein im besten Sinne schöngeistig unterhaltsamer Abend, der nicht unbedingt durch inhaltliche Tiefe, aber umso mehr mit Klarheit und Klangschönheit beeindruckte, was das Publikum mit überschwänglichem Applaus honorierte.

 Frauenkirche: LES ARTS FLORISSANTS – 26.5.2014

 Ziel des, 1979 gegründeten und nach einer Oper von Marc-Antoine Charpentier („Die blühenden Künste“) benannten, Instrumental- und klein besetzten Vokalensembles Les Arts Florisants, bei dem alle Ausführenden auch solistische Aufgaben übernehmen, ist das Klangideal der Alten Musik, nicht antiquiert, nicht akademisch, einfach nur klangschön, beseelt und mit dem Charme der Musik des 16./17. Jh.

 Bereits das Stimmen der alten Originalinstrumente bzw. naturgetreuen Nachbildungen war – was selten vorkommt – bei dieser weltweit renommierten Formation ein Hörgenuss, der vieles verhieß, aber dann nur in einem einzigen Zwischenspiel „pur“ zu genießen war. Die meisten Madrigale aus dem 7. Madrigalbuch „Concerto“ von Claudio Monteverdi wurden in ständig wechselnden Besetzungen unterschiedlicher Stimmgruppierungen a capella gesungen oder von nur wenigen Instrumenten, Streichern, Flöte(n), Cembalo oder auch nur von der einen oder anderen der beiden Lauten begleitet.

 Obwohl alle Sängerinnen und Sänger bestens mit Stil und Aufführungspraxis Alter Musik vertraut sind, die zahlreichen schwierigen Verzierungen aussangen und die unterschiedlichen Gruppierungen als Duette, Quartette usw. gut untereinander und mit den Instrumenten abgestimmt hatten, trübten die etwas klangarmen Gesangsstimmen, die vor allem in der Höhe oft schneidend scharf wirkten, mitunter den positiven Gesamteindruck. Die Klangschönheit lag vor allem bei den Instrumenten. Da wurde der Wohlklang der Renaissance wiedererweckt. Da stand die alte „himmlische“ Kunst wieder auf, konnte man die Lobeshymnen der damaligen Zeitgenossen verstehen.

 Eine „Wende“ brachte der Auftritt der Altistin Lucile Richardot, die ausdruckstark, mit guter klangvoller Stimme, sehr guter Deklamation und Diktion und ausgefeilter Phrasierung eine überaus ausgewogene Leistung bot und „ihr“ Madrigal fast wie eine kleine Opernszene als in sich geschlossenes Kunstwerk gestaltete und auch im Duett und Terzett den Madrigalen Stimme und Ausgeglichenheit widmete. Sie verlieh dem Abend, der in einem doppelchörig gesungenen Madrigal als zusammenfassender Ausklang gipfelte, neben den Instrumentalisten einen besonderen Reiz. Trotz kleiner Einschränkungen wurde mit diesem Konzert deutlich, wie lebendig die, an der Schwelle zur musikalischen Neuzeit entstandene, Musik bei entsprechender Wiedergabe noch immer sein kann. Wann hört man schon einmal Monteverdis Madrigale in dieser Fülle und Geschlossenheit.

 Schloss Wackerbarth (Radebeul): KAREN COMYO & ISMO ESKELINEN – 27.5.2014

 Als ein nicht alltägliches Duo mit besonders feinem Klang traten Karen Comyo, Violine und Ismo Eskelinen, Gitarre in der Manufakturhalle Schloss Wackerbarth auf, wo sonst Sekt und Wein auf Flaschen gezogen werden. Trotz ihrer Größe erwies sich die Halle mit Blick auf die Weinberge und die idyllische Schlosskapelle als akustisch durchaus geeignet. Der intime Charakter der Kammermusik wurde gewahrt, auch beim feinsten Pianissimo gingen keine Töne verloren.

 Obwohl Karen Gomyo in den USA lebt und Ismo Eskelinen im Norden Europas und man sich fragt, wie oft die beiden zusammen probieren können, spielten sie in kongenialer Übereinstimmung, zwei Partner mit gleichen musikalischen Intentionen, bei denen sich der Klang der beiden Instrumente ideal mischt.

 Ob bei Sonaten von A. Vivaldi („A‑Dur“ op. 2/2 RV 31) und P. A. Locatelli („d‑Moll“ op. 6/12) oder den von N. Paganinis original für Violine und Gitarre komponierten Sonaten („a‑Moll“ op. 64/1 und A‑Dur op. 2/1), Paganinis „Romanze aus der „Grand Sonata(op. 53) und seinen „Variationen über ‘O mamma cara‘ “ aus „Il carnevale di Venezia (op. 10) gab es immer eine sehr schöne Übereinstimmung der beiden Instrumente. Meist dominierte die Violine mit ihrem „liebenswürdigen“ Spiel, sehr weichem, innigem, angenehm klangvollem Strich, hoher Virtuosität mit allen Raffinessen, auffallend schönem Glissando, viel Klangsinn und sehr vielseitiger Gestaltung. Karen Gomyo ließ die Violine “sprechen“ und zeigte bei Paganinis „Caprice“ für Violine solo (Es‑Dur op. 1/14) neben schönen Doppelgriffen und klangvoller Mehrstimmigkeit auch viel Sinn für Humor.

 Die „Rossinianafür Gitarre solo von Mauro Giuliani (op. 119/1) sorgte für interessante Abwechslung und eine neue Sicht auf das Instrument. Übernahm die Gitarre bei fast allen Stücken als alleiniges Instrument den Generalbass, konnte hier Eskelinen alle seine Künste und Fertigkeiten mit verblüffender Wirkung zeigen. Ohne „Hektik“, nicht vordergründig virtuos, aber technisch gut, zauberte er sehr feine, weiche Töne und ließ vor allem sein Instrument klingen. Mit viel Gefühl spürte er dem Werk nach und konnte selbst beim Schlagen auf den Gitarrenkörper nicht nur Geräusche, sondern erstaunliche Töne erzeugen.

 Nicht in Perfektion erstarrt, sondern locker, leicht und klangvoll und wie selbstverständlich, boten beide einen besonderen Abend, der bei den beiden Zugaben von Astor Piazzolla: „Bordel (1900)“ und „Café“ (1930) noch einmal die Besonderheit der beiden Künstler als Duo Revue passieren ließ.

 Semperoper: THE KNICHTS – 28.5.2014

 Unbändige Spielfreude, Entdeckerlust und beeindruckende Frische zeichnen das New Yorker Ensemble The Knichts aus, das schon 2009 in Dresden bei den Musikfestspielen seine Musikfreunde fand.

 Es begann den Abend in relativ kleiner Besetzung mit Arthur Honeggers, sehr klar und feingliedrig und mit schönen solistischen Bläsern dargebotenen „Pastorale d’été, Poème symphonique.

 Bei L. v. Beethovens, groß besetztem, aber ebenso feinsinnig gespielten „Konzert für Klavier, Violine, Violoncello und Orchester C‑Dur(op. 56), dem berühmten „Tripelkonzert„, ließ es sich Jan Vogler nicht nehmen, den Solo-Cellopart selbst zu spielen. Die Musiker waren eines Sinnes. Durch die Verwendung von Instrumenten der Entstehungszeit konnte man förmlich den Geist der Beethovenzeit spüren.

 Dann wechselte die Konzertmeisterin zum („Pseudo“-)Klavier für „Madame Press Died Last Week at Ninety“, in dem Morton Feldmann (1926-1987) seiner Klavierlehrerin, die noch bei Busoni studiert und die Kinder der letzten russischen Zarenfamilie unterrichtet haben soll, ein klingendes Denkmal setzt, das das Ensemble mit ruhigen, ruhenden und sehr zarten Klängen realisierte.

 Höhepunkt und Abschluss bildte W. A. MozartsJupitersinfonie“ (Sinfonie Nr. 41 C‑Dur). Die Musiker zeigten viel Sinn für Mozarts Musik und Gespür für besondere Klangschönheit. Eric Jacobsen kam am Dirigentenpult ohne große Gesten aus, so gut verstanden sich die Musiker. Später setzte er sich mit dem Cello ins Orchester. Die Ensemblemitglieder leben sichtbar in der Musik, der sie sich gerade widmen. Es scheint alles ganz zwanglos, aber von großer Musizierfreude und Verantwortung getragen. Bei dieser „Leichtigkeit“ mit „Tiefgang“ stimmte einfach alles, die sehr schöne Bläsergruppe, die guten Streicher und die, den Gesamtklang unterstreichende und akzentuierende Pauke.

 Als besonderes „Schmankerl“ boten die vielseitigen Musiker flotten symphonischen Pop als Zugabe mit rasanten Hexenkünsten im ICE‑Tempo, eng an klassische Elemente angelehnt, mit rhythmisch betontem langsamem Satz und sehr dezenter, aber klangvoller „Gesangseinlage“ der vielseitigen Instrumentalisten – typisch amerikanisch und Cross over im besten Sinne.

 Semperoper: THE PHILHARMONICS & HAMPSON – 29.5.2014

 4 Wiener und 1 Berliner Philharmoniker sowie 1 Pianist und 1 Jazzgeiger verschiedener Nationalität finden sich seit 2007 zusammen, um sich den Broadway- und anderen eingängigen Melodien zu widmen. Erstmals gesellte sich auch Thomas Hampson zu diesem Ausflug ins andere Genre. Es war sein 1. Auftritt nach der Krankheit. Ihm ist „wurscht“, was er singt, bekannte er vor der 3. Zugabe („Csárdásfürstin„), Hauptsache er kann „so oft wie möglich in der Semperoper singen“.

 Die 7 Musiker um Tibor Kovác, den 1. Konzertmeister, eröffneten den Reigen in atemberaubendem Tempo und temperamentvoller als andere enden. Mit absoluter Sicherheit und viel Leidenschaft, inspiriert von der ungarischen Zigeunermusik, spielten sie ihr Programm von der Wende vom 19. zum 20. Jh., immer im Wechsel zwischen reinen Instrumentalstücken und Gesangsnummern, einschließlich der „üblichen“ Programmänderungen, wie Kovác in seiner nicht gerade leicht zu verstehenden „Moderation“ mit nicht nur Wiener Dialekt verkündete. Statt „Tzigane“ von M. Ravel gab es einen „Csárdás“ von Johann Strauss, einen „Kleinen Wiener Marsch“ von Fritz Kreisler usw.

 Hier verließen die 7 Musiker ihren sonstigen Wirkungskreis und „gaben ihrem Affen Zucker“, wie die Berliner zu sagen pflegen. Kovác brachte mit „seinen“ Musikern u. a. auch seine selbst erstellte „Rhapsodie“ in Form eines Potpourris von Johann bis Richard Straus(s), Verdi und Janácek, „quer Beet“ von „Rosenkavalier“ über „Macht des Schicksals“ und „Jenufa“ bis zur „Fledermaus„, zur Aufführung, und der Pianist Frantisek Lánoska hatte die „Blumenarie“ aus „Carmen“ für Violine statt Singstimme mit Begleitung der übrigen schmelzenden Geigen gesetzt. Es swingte und das Temperament schäumte über. Solch erheiternde Salonmusik hat bei „ernsthaften“ Musikern eine lange Tradition, und das Publikum war begeistert.

 Hampson kann alles. Er singt auch gern mal I. Berlin, G. Gershwin und K. Weill, aber so richtig kamen seine Stimme und seine Gestaltungsmöglichkeiten dann doch erst bei der 3. Zugabe – nach einer 1. Zugabe von Cole Porter und einer zweiten, feurigen, rein instrumentalen, leicht „schrägen“ Bearbeitung von Brahms‘ „ungarischem Tanz“ und den Worten „A mal geht‘s noch“ – bei der strahlend gesungenen Arie „Auch ich war einst ein feiner Csárdáskavalier“ zur Geltung.

 Semperoper: HILARY HAHN UND DAS HR-SINFONIEORCHESTER UNTER PAAVO JÄRVI – 29.5.2014

 Im silbern schimmernden Abendkleid betrat Hilary Hahn die Bühne der Semperoper, wo das hr-Sinfonieorchester Platz genommen hatte und „vergoldete“ das „Konzert für Violine und Orchester D-Dur“ von Johannes Brahms mit ihrem äußerlich im wahrsten Sinne des Wortes sensationellen, mitreißenden und absolut sicheren, aber nicht nur veräußerlichten Spiel, das wie selbstverständlich ein tieferes Eindringen in die Musik, ehrliche musikalische Empfindung und entsprechendes Werkverständnis verriet – die große Kunst des Violinspiels in sehr geschickter Balance zwischen äußerem Effekt und aufrichtigem Musikverständnis. Sie ließ vor allem das Werk zur Geltung kommen, spielte unermüdlich zügig in einem trotzdem angemessenen Tempo. Trotz ihrer Jugend war es eine sehr reife, harmonisch ausgeglichene, ausgewogene Leistung mit feinem Pianissimo, sehr schönen, lange ausgehaltenen Trillern, perfekten Doppelgriffen, sehr natürlich wirkender Phrasierung und besonders schönem, großem, rundem Ton.

 Bei der Mehrstimmigkeit und Melodiösität ihrer Zugabe für Violine solo waren noch einmal ihre großen musikalischen Tugenden aus einer anderen Sicht zu erleben. Nicht nur für ihr „atemberaubendes Violinspiel“, wie Jan Vogler sagte, sondern vor allem auch für ihr Engagement bei der Jugendförderung erhielt sie den „Glashütte Original MusikFestspielPreis 2014“, wofür sie sich in gutem Deutsch bedankte, das sie „im Alter von 12 Jahren“ von einer „Lehrerin aus Dresden“ gelernt hat.

 Unter der Leitung von Paavo Järvi hielt sich das Orchester bei Brahms‘ Violinkonzert mit der Lautstärke noch zurück, um der Solistin, abgesehen von der harten Pauke, vorwiegend mezzoforte Raum zur Entfaltung zu geben. Bei A. BrucknersSinfonie Nr. 9“ setzte Järvi auf sehr starke Kontraste zwischen enormer Lautstärke und guten, leisen Passagen, bei denen das Orchester zeigen konnte, was es wirklich kann. Mit schöner Differenzierung und sensiblem Klang wurde es Bruckners Musik gerecht, im Gegensatz zu den vom Dirigenten immer wieder geforderten, gewaltigen, lauten, euphorischen „Ausbrüchen“, bei dem das Orchester seinen guten Klang verlor und die überbordender Pauke, mehr sportlich bis an die Leistungsgrenze gehend, als musikalisch, eher an das „Jüngste Gericht“ als an Bruckners pantheistische Naturvorstellungen erinnerte.

 Mit einer temperamentvoll-ungarischen Orchesterzugabe von J. Brahms schloss sich der Kreis.

 Semperoper: „MISSA SOLEMNIS“ MIT DEM FESTSPIELORCHESTER – 8.6.2014

 Das Dresdner Festspielorchester wurde ganz im Geiste des legendären „Orchestra di Dresda“ (dem „Vorläufer“ der Sächsischen Staatskapelle), das im 17./18. Jh. durch Einführung des „vermischten Geschmacks“ zu besonderer Feinheit bei der Ausführung fand, gegründet. Es vereint jetzt, 3 Jahrhunderte später, die besten Spezialisten für historische Aufführungspraxis aus den herausragenden Ensembles für Alte Musik und hat sich ganz der historischen Aufführungspraxis und dem Originalklang verschiedener Epochen verschrieben. In diesem Jahr stand L. V. BeethovensMissa solemnis“ auf dem Programm.

 Obwohl die Solisten zwischen Orchester und Chor standen, d. h.im Hinter- bzw. Mittelgrund, waren sie ausgesprochen gut zu verstehen. Camilla Nylund, Sopran und Elisabeth Kuhlmann, Mezzosopran setzten hier Glanzpunkte. Den Tenorpart sang Richard Croft. York Felix Speer setzte mit seiner profunden, voluminösen Bass-Stimme Akzente. Noch nie war die Altstimme bei einer Aufführung dieser „Missa“ so deutlich, unaufdringlich, klangschön und gestaltend wahrzunehmen, wie hier von Elisabeth Kuhlmann.

 Über sehr schöne Frauenstimmen und sehr sichere Männerstimmen verfügte auch der Balthasar-Neumann-Chor, der sich das Werk sehr angelegen sein ließ. Bei dem Orchester in großer Besetzung fiel vor allem die solistisch führende Violin-Stimme im „Benedictus“ (Kai Vogler) auf – nicht nur eine schöne Geste, sondern auch eine großartige Leistung. Nur die Pauke diente mit ihren extrem harten, lauten, sehr dominanten Schlägen eher äußerlichen Effekten als dem, von Beethoven als christliche Messe empfundenen, Werk, auch wenn es im Konzertsaal aufgeführt wird. Die Gesamtleitung lag in den Händen von Ivor Bolton.

 Semperoper: „GATTI“ – 9.6.2014

 Eigentlich wollte Claudio Abbado dieses Konzert selbst dirigieren. Sein Tod verhinderte es leider. Nun wurde es zum Gedenkkonzert für ihn, was die sehr zahlreichen Besucher auch ohne hinweisende Worte verstanden. Daniele Gatti hatte in Memoriam den Taktstock übernommen. Das, 1997 von Claudio Abbado und früheren Mitgliedern des Gustav Mahler Jugendorchesters gegründete, sehr gewissenhaft spielende, Mahler Chamber Orchestra aus Mitgliedern unterschiedlichster Nationen in großer Sinfonieorchester-Besetzung füllte die Kirche, deren Akustik besser ist, als ihr Ruf, klangvoll aus.

 Gleich der erste Programmpunkt war ein Highlight. In angemessen ruhigem Tempo sang Waltraut Meier, sehr gut bei Stimme, die Lieder von Gustav MahlerIch bin der Welt abhanden gekommen“, „Um Mitternacht“ und „Liebst du um Schönheit“ auf Texte von Friedrich Rückert und „Urlicht“ aus „Des Knaben Wunderhorn“, sehr kultiviert, sehr fein differenziert und ernsthaft. Sie „zelebrierte“ gleichsam jedes Wort und jeden Ton, die bei ihr eine untrennbare Einheit bildeten, und – was leider allgemein schon selten geworden ist – sie verfügt über eine gute Textverständlichkeit. Es war eine perfekte Wiedergabe, alles äußerst fein dosiert und ausgewogen von Stimmkraft bis zum feinsten Pianissimo. Kein Detail war unwichtig. Sie ließ es im Gesamtgefüge ihrer Gestaltung zur Geltung kommen und die Lieder als großartige kleine Kunstwerke entstehen. Mit dem mitgestaltenden Orchester ließ Gatti die Lieder leise ausklingen. Unter seiner Leitung geht Mahlers Musik in ihrer Tragik immer „unter die Haut“.

 Nicht ganz so einfühlsam eröffnete das Orchester mit großer Lautstärke „Wotans Abschied“, so dass es der gut singende René Pape nicht leicht hatte. Voll zur Wirkung kamen seine stimmlichen und ausdrucksstarken Fähigkeiten dann erst beim „Feuerzauber“ aus Richard WagnersDie Walküre“ (3. Akt). Hier waren Solist und Orchester in einem guten Verhältnis.

 Trotz ungewöhnlicher Hitze, die selbst durch die dicken Sandsteinmauern der Frauenkirche drang, spielte das Orchester sehr gewissenhaft. Unter Gattis Leitung erschloss sich Robert SchumannsSinfonie Nr. 3 Es‑Dur“ (op. 97), die „Rheinische“ in ihrer gedanklichen Tiefe und Schönheit. Schon oft gehört, war sie hier wieder neu zu entdecken.

 Großer Schlosshof: „FEUERSNOT“ VON RICHARD STRAUSS – OPEN AIR – 8.6.

 Petrus scheint auch ein Freund der Dresdner Musikfestspiele zu sein. Obwohl an vielen Orten Deutschlands Unwetter tobten, lud der Große Hof des Dresdner Schlosses mit seinen wiedererstandenen Sgraffitos der Renaissancezeit, die seinerzeit europaweit berühmt waren, an einem lauen Sommerabend zum 3. Mal zu Richard Strauss‘ Sinngedicht „Feuersnot“ ein, einer selten gespielten Oper (bzw. eines „Sinngedichtes“), die Strauss als Mitdreißiger schrieb und die als erste von 9 Strauss-Opern in Dresden uraufgeführt wurde.

 Obwohl die Protagonisten und der passabel singende Kinderchor der Singakademie Dresden (Einstudierung: Claudia Sebastian-Bertsch) sowie Mitglieder der Kinderkomparserie in „gemischten“, wie aus dem privaten „Fundus“ der Mitwirkenden improvisiert erscheinenden Kostümen älterer (unbestimmter) Zeit, die mit ein paar Trachten-Jäckchen vielleicht die Nähe zu den bayrischen Volksstücken assoziieren sollten, unter Einbeziehung des Schlossbereiches auch neben, hinter und zwischen den Zuschauerreihen agieren, möchte man schon den Inhalt genau kennen, um der (Halb-)Szenischen Einrichtung von Angela Brandt folgen zu können, zumal die Textverständlichkeit in den meisten Fällen sehr zu wünschen übrig ließ.

 Gut bei Stimme und ansprechend im Spiel, verkörperte Rachel Willis-Soerensen die jugendliche Schöne namens Diemut und war damit fast allein auf weiter Spur. Als Kunrad konnte Tómas Tómasson in seiner längeren „Predigt“ an die (Münchner) Philister, die mit Wagner so schnöde umgegangen sind, seine Probleme mit der Höhe nur selten verbergen. Jürgen Müller fiel als Burgvogt mehr durch sein auffallendes Theaterkostüm auf.

 Unter den „braven“ Bürgern, dargestellt von Michael Eder (Bürgermeister), Angela Liebold (Elsbeth), Simone Schröder (Wigelis), Carolina Ullrich (Margret), Matthias Henneberg (Fragner), Tomislav Lucic (Bäck und Bräuer), Rainer Maria Röhr (Schäfflermeister), Tichina Vaughn (Ursula), Tom Martinsen (Hafner) und Catalina Bertucci (Walburg), machte Tilmann Rönnebeck als der Leitgeb Jörg Pöschel mit seiner sicheren, klangvollen Stimme und sehr guter Artikulation nachdrücklich auf sich aufmerksam. Von ihm hätte man gern mehr gehört.

 Den Hauptanteil am Gelingen hatten der, hier ziemlich viel beschäftigte, Sächsische Staatsopernchor (Einstudierung: Wolfram Tetzner) und das Dresdner Festspielorchester unter der Leitung von Stefan Klingele, die sich mit Können und musikalischem Verständnis der, vor allem melodiösen, klanglich sehr differenzierten und mitunter sinnenbetörenden Musik mit ihrem Pathos, halb noch Wagner verhaftet und doch schon mit echt Strauss’schen Anklängen, widmeten. Ein schöner Abschluss der Dresdner Musikfestspiele, die (frei nach Goethe) „vieles“, vor allem auch viel Interessantes, „brachten“ und „manchem etwas gaben“.

 Ingrid Gerk

 

 

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