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WIEN / TAG: MEDEA – ICH, ICH, ICH, ICH!

07.12.2019 | KRITIKEN, Theater


Fotos: Anna Stöcher

WIEN / TAG:
MEDEA – ICH, ICH, ICH, ICH! von Gernot Plass
Sehr frei nach „Medea“ von Euripides
Uraufführung
Premiere: 7. Dezember 2019,
besucht wurde die Voraufführung

Zu Beginn gibt es einen Ehekrach, der alle Stückeln spielt. Andrea hat herausgefunden, dass Gatte Walter sie betrügt. Er gibt es ja auch zu. Schlimmer noch – eigentlich wäre ihm Elisa sogar lieber als die Angetraute… Eine ewige Konstellation, schon Medea hat sie erlebt (damals, im alten Griechenland), wenn Gatte Jason sich lieber Kreusa zugewendet hat, in der alten Sage immerhin Königstochter mit dem  mächtigen Kreon als Papa… Hier ist ihr Vater Peter immerhin Bürgermeister, und das, wenn man sich nicht irrt, von Wien.

Wenn Gernot Plass, Direktor des TAG, die Geschichte Medeas für sein Haus „überschreibt“, so ist das ein gänzlich legitimes Unternehmen. Die klassische Dramatik, zumal jene der Griechen, hat uns die großen Stoffe und Themen überlassen, damit wir sie immer wieder auf ihre Gültigkeit befragen. Bei Plass ist alles hier und heute und oft anders als in der Vorlage. Dass er dem Titel viermal „Ich“ beigefügt hat, einmal für jede der beteiligten Figuren, ist ein Hinweis auf den heutigen Egoismus. Jeder denkt nur an sich selbst, sich selbst, sich selbst, sich selbst…

Vor allem gibt es in dieser Neufassung kein schwammig-weiches Frauenbild mehr, wie es die Prinzessin Kreusa einst verkörpert hat. Elisa / Kreusa hat sich nicht nur Jason, pardon Walter, wissentlich geschnappt, sie manipuliert auch den mächtigen Papa nach ihren Wünschen. Und die Kinder von Medea hätte sie auch gern – um Mutter zu spielen, ohne die Unannehmlichkeiten einer Geburt. Denn schließlich will sie ja ungehindert Karriere machen. Das Theaterfoto legt die Gesichter der beiden Frauen übereinander: Eine so schlimm wie die andere…

Später freilich, wenn Elisa / Kreusa die Nerven verliert, Andrea / Medea ihre ganze Verachtung der Ausländerin gegenüber entgegen wirft (und das mit Worten, die im Zuschauer Gänsehaut vor Entsetzen erzeugen), dann sind die „Kinder“ kein sentimentales Thema mehr, dann wären auch die „Halbblut“-Kinder für nichts weiter gedacht, als „unseren Dreck wegzuräumen“… Kurz, Gernot Plass kennt da keine Schonung.

Und Andrea / Medea? Die wehrt sich. Große Liebe zum Gatten gibt es nicht mehr, dafür fängt sie sich den Bürgermeister ein, in der Hoffnung der Abschiebung zu entgehen – sie ist Ausländerin, nicht vergessen! Derer entledigt man sich leicht, wenn man es darauf anlegt. Im Kämpfen sind die beiden Damen groß. Gewiß, auch der Bürgermeister lässt es an brutaler Rücksichtslosigkeit nicht fehlen. Nur Walter / Jason, der brüllt zwar herum, ist aber im Grunde ein Schwächling. Wie schon (man muss jetzt nicht alle „Medea“-Bearbeitungen befragen, aber zumindest diese) bei Grillparzer…

Am Ende gibt es Blut und Leichen, und auf diese Brutalität ist das Stück schrittweise zu gegangen, gelaufen, gestürmt. Faszinierend, wie Gernot Plass als sein eigener Regisseur für die rund 100 pausenlosen Minuten von der ersten Sekunde an vibrierende Spannung erzeugt. Da sind alle immer am Rande des Nervenzusammenbruchs, weil es für alle um die Existenz geht. Da hat Michaela Kaspar eine Kraft im Toben, die schlechtweg bewundernswert ist. Aber Lisa Schrammel hält ihr mit der Kraft einer absolut skrupellosen Rücksichtslosigkeit stand. Sie ist ja eigentlich das gänzlich neue Element in dieser Medea-Paraphrase.

Aber die Männer halten ihrerseits die Stellung im gnadenlosen Spiel – sowohl Jens Claßen im Politiker-Duktus wie Julian Loidl, der schreit, weil er schwach ist. Sie alle brauchen nicht mehr als vier Fauteuils, die sie mal so, mal so verschieben (Ausstattung Alexandra Burgstaller), um auf der leeren Bühne eine Gewalt zu evozieren, die tatsächlich „antik“ wirkt – und dabei gänzlich heutig ist.

Am Ende hätte man nur zwei Einwände. Bühne und Zuschauerraum müssten eigentlich nicht immer „eingenebelt“ werden, das stört bei der Sicht und überhaupt. Und machen die „Chor“-Einschübsel, für welche die vier Darsteller immer wieder in schwarze Umhänge schlüpfen und weiße Masken aufsetzen, in diesem Zusammenhang wirklich Sinn? Da wird die Sprache auf einmal belehrend, und eigentlich erzählt das Stück sich auch ohne Kommentar selbst. Wer die Vorlage kennt, wird die Bezüge leicht herstellen (und die Brüche erkennen). Wer nicht, für den ist die Geschichte an sich stark genug. Und mehr kann man ja von einer antiken Vorlage wirklich nicht verlangen…

Renate Wagner

 

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