Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

CD „LIVE in BERLIN“ – TRIO GASPARD mit Klaviertrios von Haydn, Zimmermann und Schubert; CAvi Music

16.09.2020 | cd

CD „LIVE in BERLIN“ – TRIO GASPARD mit Klaviertrios von Haydn, Zimmermann und Schubert; CAvi Music

Gewöhnungsbedürftig ist er schon, der Streicherklang von Jonian Ilias Kadesha. Das sinnliche vibrierende Umschmeicheln der Violine versteckt der in Berlin lebende Musiker mir griechisch-albanischen Wurzeln nur zu gut hinter oftmals provokant kargen, geraden Tönen. Und dennoch, es hat was, dieses eigenwillige und dennoch charaktervolle Musizieren.  

Gerade bei Haydns spätem Klaviertrio Nr. 44 in E-Dur, das der Komponist der Pianistin Therese Jansen Bartolozzi während seines zweiten London Aufenthalts widmete, entführt uns der zweite Satz in eine rätselhafte Stimmung, geisterhaft und mystisch zugleich. Diese Atmosphäre habe ich noch nie so verschleiert, quasi aus dem Jenseits kommend, wie auf dieser Aufnahme gehört. Auch ist das Trio stets auf eine fein justierte Balance der Violine mit Klavier (Nicholas Rimmer) und dem Cello (Vashti Hunter) bedacht.

Den Höhepunkt des Albums bildet, und hier ist das „Live“ wirklich hautnah körperlich zu spüren, „Présence, Ballet blanc en sinq scènes“ aus dem Jahr 1961 von Bernd Alois Zimmermann. Als einer der spannendsten und virtuosesten Komponisten der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts liebte Zimmermann nicht nur vielschichtig, kunstvoll gedachte Klanggebilde zu kreieren, sondern vermochte auch ein instrumentales Stück wie dieses theatralisch surrealistische Trio in Szene zu setzen. Die Solisten sollten idealweise als Don Quixote mit Goldhelm, Visier und Federbusch (Geiger), als Molly Bloom, Primaballerina mit Tutu und Maske der Gaia-Tellus, Urmutter des Seins (Cellistin) und als Ubu-Roi, danseur noble mit Tapirkopf, auftreten. Zimmermann wäre nicht Zimmermann, lieferte er nicht gleich auch eine philosophische Anleitung zu seinem persönlichem Verständnis des Wortes „Présence“ (=Gegenwart) mit: „Das ist die dünne Eisschicht, auf der der Fuß eben nur so lange verweilen kann, bis sie einbricht; aber während der Fuß noch für den Bruchteil einer Sekunde auszuruhen vermeint, bricht sie schon, die dünne Decke, und zurück bleibt die Gewissheit der immer wieder neu begonnenen Gegenwart des Splitterns der Eisschicht und die Absurdität, die an dem ständig unternommenen Versuch liegt, Fuß zu fassen. So erscheint Présence als jene Gegenwart, die Vergangenheit und Zukunft miteinander verbindet.“

Den fünf Szenen des Stücks ordnet Zimmermann bestimmte poetische Inhalte (Groß- und Kleinschreibung übernommen) zu: 1) wir jagen das wild, das uns opfert, 2) die stählernen engel der dinge holen uns ein, 3) Alle Wahrvögel nisten in einem einzigen Baum, 4) Flutende Lippen umwogen den Grund… unentblätterter Schlaf, atemloses Versprechen…Insel der schwebenden Vögel, 5) Im unaufhörlichen Tamtam deiner Haare dreht sich der Sarg der umkehrenden Träume.

Wem all diese Worte zu gestelzt oder gewollt pathetisch scheinen, der halte sich ganz an die Interpretation des Trio Gaspard und verleihe der eigenen Fantasie Flügel. Zimmermann überwältigt mit einer kraftvollen Klangimagination, deren Vielfalt und technische Bravour als bewusster Kontrapunkt zu jeder szenischen Idee steht. Die Irreführung in die eine oder andere Richtung wird lustvoll ironisch ausgekostet. So ist für mich dieses aus der Musikgeschichte schöpfende und sie zugleich überhöhende Meisterwerk als akustische Simultanübersetzung der komplexen Diversität unserer Wirklichkeit und des virtuellen, jeden Anschein konterkarierenden Maskenspiels in Gesellschaft, Kunst und Politik zeitlos modern. Der Star dieses Stücks ist der Pianist Nicholas Rimmer. Umwerfend, was er an expressiver Wucht aus den Tasten hämmert, aber auch welche feinen Klangideen Cello und Violine lautmalerisch zu konkretisieren vermögen.

Franz Schuberts riesiges Klaviertrio in Es-Dur D 929 passt perfekt nach Zimmermanns weltumspannend musikalisch kostümierten Karnevalstiraden. Dunkelheit und Licht, unwirkliche Stimmungen wie Renaissancegemälde mit flackerndem Kerzenschein beleuchtet, Schumann sah das Stück als „zürnende Himmelserscheinung, die über das damalige Musiktreiben hinwegging.“ Und weil in dieser Musik alles steckt und ihr nichts Menschliches fremd ist, rückt Schubert an das Weltbild von Zimmermann und seine Kugelgestalt der Zeit heran, findet Nicholas Rimmer.

Wir meinen, dass das Album eine so breite Zuhörerschaft wie nur möglich verdient. Vor allem, weil der für seinen Wert viel zu selten aufgeführte ,Zimmermann‘ in einer unmittelbar aufwühlenden, emotional zu Herzen gehenden Interpretation zu erleben ist.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

Diese Seite drucken